Falsche Zungen
liegen: Meine Oma und meine Mutter haben auf Teufel komm raus gestickt. Damals wurde eine solche Arbeit allerdings ernst genommen und nicht herablassend als Hobby oder Beschäftigungstherapie bezeichnet. Meine Großmutter hatte ihre gesamte Aussteuer, Bett- und Tischwäsche, Nachthemden und Unterwäsche mit Monogramm versehen, meine Mutter war Meisterin in Lochstickerei, alles Weiß in Weiß. Wahrscheinlich haben sich beide dabei die Augen verdorben, obwohl mein Augenarzt sagt, das sei nicht erwiesen. Ob es sinnvoll ist, Löcher in weiße Tischtücher zu schneiden, um sie dann wieder zuzusticken, sei dahingestellt, ebenso, ob man auf jedem Küchentuch ein Monogramm braucht.
Ich bin da ehrlicher und gebe zu, daß ich zum Vergnügen sticke. Und ich würde mich nie und nimmer mit weißen Löchern oder roten Monogrammen zufriedengeben -langweilig, sage ich nur. Bunt muß es sein, phantasievoll und aussagekräftig. Meine Anfänge waren bescheiden; nach vorgegebenem Muster stickte ich in Kreuzstich auf Stramin: Blümchen auf Schürzen, Blümchen auf Kaffeedecken, Blümchen auf Sofakissen. Ein bißchen einfältig sah das allerdings aus, aber auch lieb und fröhlich, und ich war schließlich noch sehr jung.
Nach diesen Anfangserfolgen wurde ich mutiger und erlernte den Stiel- und Plattstich. Stundenlang konnte ich in
Kurzwarenläden farbigen Twist oder Stickseide nebeneinanderlegen und Kombinationen zusammenstellen. Pfauenblau und Pfirsichrosa, Türkis und Honiggelb, Lachsrot und Schokoladenbraun, Silber und Nachtblau, Elfenbein und Jadegrün. Meine Kissenhüllen wurden nicht mehr in einfarbigem Grundton gehalten und mit verstreuten Röschen verschönert, sondern bestanden nur noch aus einem einzigen Blumenmeer.
Aber die Krönung ist die Gobelinstickerei. Eine jugoslawische Kollegin zeigte mir einen Katalog, aus dem man die Vorlagen für berühmte Gemälde bestellen konnte, um sie dann in einjähriger Arbeit in ein eindrucksvolles Stick-bild zu verwandeln. Ich war begeistert. Das Programm enthielt auch Muster für kleinere Arbeiten wie etwa Bezüge für Fußschemel und Kleiderbügel, die sich als entzük-kende Geschenke verwenden ließen. Von da an gab es für mich nie mehr Abende vorm Fernseher, sonntägliche Spaziergänge, Kreuzworträtsel oder gar Kinobesuche.
Wenn ich von der Arbeit heimkomme, verrichte ich in Windeseile meine Hausarbeit, stelle mir ein Fertiggericht in die Mikrowelle, ziehe mir in den fünf Minuten bis zum Garwerden meine Büroklamotten aus und einen Jogginganzug an und stelle das Radio ein. Ich verschwende keine überflüssige Zeit für Telefonate, Einkaufsbummel, Zeitunglesen oder Familienbesuche. Soziale Pflichten gegenüber Kollegen oder Verwandten leiste ich mit einem weihnachtlichen Geschenk ab. Wenn sie dann gestickte Buchhüllen, Bildchen, Lesezeichen, Duftkissen oder Teewärmer erhalten, können sie es kaum glauben, daß ich so viel Zeit in Freundschaft investiert habe. »Wie viele Stunden haben Sie daran gesessen?« fragen sie jedesmal. Ich führe Buch darüber. Je nach Verwandtschaftsgrad beziehungsweise nach kollegialer Verbundenheit rechne ich mit 20 bis 400 Arbeitsstunden. Das macht Eindruck. Sie behaupten, meine Gabe nicht annehmen oder nicht wiedergutmachen zu können. Nächstes Jahr solle ich es bitte lassen, das müsse ich versprechen. Dann lächle ich hintergründig und sage: »Mal sehen!«
Vielleicht hätte ich nie eine solche Leidenschaft für Handarbeiten entwickelt, wenn ich nicht mit 17 Jahren, als meine Altersgenossen im Sommer schwimmen und im Winter tanzen gingen, an Hepatitis erkrankt wäre. Ich mußte mich schonen, zu Hause bleiben und viel ruhen. Es wäre wohl sehr langweilig geworden, wenn ich nicht zufällig im Nähkörbchen meiner Mutter eine angefangene Stickerei entdeckt hätte. Sie war etwas verwundert, daß ich Interesse an solchen Geduldsspielen zeigte, aber sie unterwies mich doch hinreichend, so daß mir dieses erste Stück ganz gut gelang.
Übrigens blieb ich auch nach meiner Genesung ein wenig anfällig, eine sogenannte halbe Portion, kaum belastbar und schwierig im Umgang mit anderen Menschen. Die Buchhalterei erlernte ich ohne große Begeisterung, jedoch pflichtbewußt. Man kann sich auf mich hundertprozentig verlassen, darauf baut mein Chef. Außerdem wissen die Kollegen, daß sie mein Bedürfnis nach Ruhe und Alleinsein zu respektieren haben. Mein Zimmer wird nicht ohne triftigen Grund und schon gar nicht ohne deutliches Anklopfen betreten. Insgeheim
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