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Falsche Zungen

Falsche Zungen

Titel: Falsche Zungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Mortensen hatte selbst viel zu erzählen, es fiel ihr gar nicht weiter auf, daß ich nur freundliche und verständnisvolle Kurzkommentare gab, mich selbst und meine eigene Welt aber ausklammerte. Auch über meine große Liebe zur Kunst verlor ich nie ein Wort.
    Drei Wochen sind schnell vorbei. Der Abschied fiel mir nicht leicht, obgleich ich andererseits meinem Zuhause und meiner Lieblingsbeschäftigung entgegenfieberte. Ich fühlte mich fit und voller Schaffenskraft. Gunda wollte mir schreiben; sie wohnte nicht allzuweit entfernt, vielleicht ergab sich sogar irgendwann ein Besuch. Ich hoffte es sehr, wollte aber nicht mit einer direkten Einladung als aufdringlich gelten.
    Der Alltag hatte mich wieder voll im Griff, als ich eines Tages einen reizenden Brief meiner Wörishofener Bekannten erhielt. Sie schrieb hauptsächlich über sich, über ihr Leben als Witwe, über ihre Kinder und das erste En-kelchen. Es war eine mir fremde Welt, obgleich meine Kolleginnen ähnliches zu berichten hatten. Nach einer angemessenen Frist habe ich geantwortet und von da an auf erneute Post gewartet. Bereits im nächsten Schreiben wurde ein Besuch angekündigt, der mich in große Erregung versetzte.
    Es hört sich wahrscheinlich ungewöhnlich an, aber außer meiner verstorbenen Mutter hatte mich bis dahin noch niemals ein Gast in meiner Wohnung aufgesucht. Allerdings hatte ich auch nie eine Menschenseele dazu aufgefordert.
    Da ich noch drei Wochen Zeit hatte, konnte ich in Ruhe überlegen, wie man einen Gast bewirtet, was einzukaufen war und ob ich ein Hotelzimmer reservieren mußte. Außerdem beschloß ich, Gunda Mortensen ein kleines Geschenk zu überreichen, natürlich kein gesticktes Bild, an dem ich mindestens 200 Stunden arbeiten müßte. Nur zu gut wußte ich, daß es feinfühlige Naturen in Verlegenheit brachte, wenn ich allzuviel Zeit für die Herstellung einer kleinen Überraschung verwendet hatte. Ich entschied mich für eine zierliche schwarze Seidenbörse mit einem gestickten biedermeierlichen Vergißmeinnichtkränzchen. Das Motiv hatte ich selbst entworfen, und es geriet zu einem kleinen Meisterwerk.
    Kochen habe ich nie gelernt, ebensowenig Kuchen bak-ken. Ich scheute aber keine Mühe, mich mit dem Taxi in die beste Konditorei fahren zu lassen, um sechs verschiedene Torten- und Kuchenstücke zu kaufen, für jeden Geschmack etwas - Joghurtcreme mit Obst, Frankfurter Kranz, Sacheroder Apfeltorte. Ich deckte den Tisch mit einer selbstgestickten Decke (andere besitze ich gar nicht), die ich bis dahin nie benutzt hatte. Sie gehört noch in meine frühe Blumenepoche. Rosa Apfelblüten auf tannengrünem Grund, zartgrüne Blättchen und kleine Bienen lassen den gedeckten Kaffeetisch frühlingsfrisch und anmutig erscheinen.
    Gunda kam pünktlich. An der Wohnungstür reichte sie mir strahlend, fast erwartungsvoll die Hand. Der Flur ist ein wenig dunkel, meine dort hängenden Werke kommen kaum zur Geltung, ich konnte noch keine begeisterte Reaktion erwarten. Nachdem sie ihren Mantel ausgezogen hatte, führte ich sie ins Wohnzimmer, wo ich erst einmal mitten im Raum stehenblieb, damit sie in Ruhe die vielen Bilder auf sich wirken lassen konnte.
    Zwar ließ Gunda die Blicke schweifen, sagte aber vorerst nichts. Erst als ich ihr Kaffee einschenkte, kam die verblüffende Frage: »Sind die Stickereien alle von Ihrer verstorbenen Frau Mutter?«
    Ich gab keine Antwort, sondern legte ihr mein hübsch eingepacktes Geschenk auf den Teller. Sofort packte sie es aus, Gott sei Dank mit sympathisch-kindlicher Neugier. Wie gesagt, meine schön bestickte Geldbörse war ein Schmuckstück. Und wenn man das Blumenkränzchen genau ansah, dann entdeckte man in der Mitte Gundas goldenes Monogramm. Sie starrte darauf, zog die Brille aus der Handtasche und vergewisserte sich, daß da tatsächlich die Initialen G. M. zu lesen waren.
    Ungläubig sah sie mich an. »Haben Sie das etwa selbst gestickt, Herr Meyer?« fragte sie tonlos. Ich nickte glücklich und verstehe bis heute nicht, daß sie schon nach zehn Minuten aufbrach und nie mehr etwas von sich hören ließ.
Die blaurote Luftmatratze
Die Sekretärin
Das Händchen
Nachweis

Die blaurote Luftmatratze
    Ich gehöre zu jenen blonden Krankenschwestern, die alle Klischees erfüllen, besonders das von lüsternen Chef-und Oberärzten, die meine Väter sein könnten. Aber ich arbeite dagegen an: Meine Figur ist knabenhaft, meine blauen Augen blicken gar verträumt in die Welt, so daß ich Beschützer- und nicht

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