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Falsche Zungen

Falsche Zungen

Titel: Falsche Zungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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ich versuchte - etwas gekünstelt
    - einzustimmen. Man redete auf mich ein, es mochten Fragen sein. Ich antwortete auf englisch, zwecklos, wir konnten uns absolut nicht verständigen, aber ich hätte auch wirklich keine einleuchtende Begründung für meine Gegenwart angeben können.
    Der nächste Tag war wunderbar. Die Männer behandelten mich als Gast, gaben mir Obst, Reiswein und frische Fladen aus einem Dorf, ließen mich nach vorn auf den Beifahrersitz und machten ständig gutmütige Scherze. Sie schienen keine bösen Absichten zu haben, und ich bedauerte fast, nicht früher entdeckt worden zu sein, denn die letzten Tage der Fahrt waren die reinste Erholung.
    Es wurde ständig heißer, die Vegetation änderte sich. Buschige feuchte Wälder voller Papageien, Schlingpflanzen, die mich an Tarzans Heimat erinnerten, kleine Affen, seltsame Geräusche von unsichtbarem Getier. Selten sah man Menschen. Die Fahrer bedeuteten mir, daß wir bald am Ziel wären. Dabei betrachteten sie mich eingehend, um zu erkunden, wie ich darauf reagiere. Ich spielte den Gelassenen, der ein reines Gewissen hat.«
    Zarah seufzt und greift bei den Worten »reines Gewissen« in meine langen blonden Haare wie in ein Saitenspiel. Eigentlich heißt Zarah >Herbert Böttger< und ist transsexuell.
    »Ich glaub, ich bin lesbisch«, sagt Zarah mit ihrer oder seiner herrlichen Stimme.
    »Do be quiet«, befiehlt die Diplomatenfrau mit Emphase, und Tristan haut Zarah zart auf die Pfoten, was mich aus tiefster Seele beglückt. Ich bedeute ihm etwas.
    »Bei Sonnenaufgang erreichten wir eine Flußlandschaft, die dicht besiedelt war. Keine Industrie, keine Telefonleitungen, jedoch ein sehr ausgeklügeltes Bewässerungssystem. Die Häuser aus getrocknetem Lehm und Bambusstäben gebaut. Die Menschen von asiatischem Aussehen, heiter winkend. Rote und gelbe Blumen vor jeder Hütte, Körbe mit frischen Früchten vor der Haustür.
    Am frühen Nachmittag näherten wir uns einem Camp, das mit Stacheldraht und Elektrozäunen gut gesichert war. Ein Posten öffnete und nahm die Säcke, die unser Fahrer mitgebracht hatte, in Empfang.
    Meine Erregung wuchs. Auch die Männer schienen aufgeregt zu sein und diskutierten untereinander. Sie brachten mich in eine Baracke. Hinter einem Schreibtisch saß ein grauäugiger Mann, der wohl zur Hälfte Europäer sein mochte. Er sprach mich in einer slawischen Sprache an.
    Man holte einheimische Männer in weißen Kitteln. Fast gleichzeitig begrüßten sie mich und fragten höflich nach dem Grund meines Besuches. Der eine sprach reinstes Oxfordenglisch, der andere hatte einen amerikanischen Akzent. Ich behauptete, Forscher zu sein - Biologe -, ich wolle eine Arbeit über seltene Insekten schreiben. Hätte ich mich doch lieber zum Geologen, Ethnologen oder Sprachforscher gemacht! Die Herren waren zoologische
    Koryphäen, und ich beantwortete ihre wissenschaftlichen Fragen so dümmlich-kümmerlich, daß sie offensichtlich in drei Minuten wußten, daß ich log.
    Ihre Freundlichkeit schmolz dahin, und sie forderten mit Nachdruck, ich solle ohne Umschweife den wahren Grund meines Hierseins erklären. Wahrscheinlich wäre es im Roman oder Film zu einer wochenlangen Zerreißprobe gekommen: Ich hätte mich geweigert auszusagen, und die Herren im weißen Kittel hätten mich gefoltert. Ich bin kein Held. Nach der ersten mißlungenen Lüge sagte ich unverzüglich die Wahrheit. Die lange Reise hatte mich mürbe gemacht wie eine alte Luftmatratze.«
    Tristan sieht mich beifallheischend an. Diesen Vergleich hat er sich eigens meinetwegen einfallen lassen, ich weiß das zu schätzen. Aber auch Zarah buhlt um meine Gunst, sie hat für mich Fahrradflickzeug vom Hausmeistersohn geklaut. Kotzebue wiederum füttert mich pausenlos mit weißer Schokolade, für die wir beide die gleiche Leidenschaft hegen. Im Sommer kann das Leben sehr schön sein. Nur die Diplomatenfrau ist unruhig, weil ihr eine Ameise in den Schlüpfer gekrabbelt ist. Von weitem sehen wir den Oberarzt seine Runde drehen; im Grunde haßt er uns alle, weil wir natürlich nur dank großzügig fließender Gelder unserer Eltern hier sein können (das heißt, ein paar von uns besitzen diese Mittel selbst, weil sie bereits geerbt haben).
    Michael Jackson und Zarah verlassen uns, sie wollen üben. »Lasciate mi morire«, hören wir ergriffen.
    Der Schlangenmensch fährt fort: »Die Reaktion der drei Männer war ebensowenig spektakulär. Sie schickten mich ins Bett. Etwas anderes interessierte

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