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Falsche Zungen

Falsche Zungen

Titel: Falsche Zungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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mit Schuhen und Stühlen. Zwei Professoren zeigten gelegentlich zu meiner Erleichterung die Andeutung eines feinen Lächelns.
    Natürlich gibt es in Shanghai keine deutsche Buchhandlung, daher war auch kein Büchertisch aufgebaut. Aber einige deutschsprachige Fans besaßen bereits meine Krimis und brachten sie zum Signieren mit. Da es sich um nicht allzu viele Exemplare handelte, malte ich liebevoll einen Gockel in Der Hahn ist tot. Viele dunkle Augen sahen neugierig zu. Wahrscheinlich assoziierten die angehenden Philologen: Der Besitzer dieses Buches wurde im Hühnerjahr geboren!
    Alle Studenten bekamen vom Konsulat eine Broschüre geschenkt: Wissenswertes über die Bundesrepublik mit einem Grußwort von Helmut Kohl. Nach kurzem Grübeln fing die erste an, mir das Heftchen hinzuschieben: »Bitte Schlange für Yü!« Und dann ging es weiter, Hase für Mo, Katze für Ping. Sechzigmal habe ich Viecher gezeichnet und »Ingrid Noll« neben »Helmut Kohl« geschrieben.
    Sind alle Leserwünsche erfüllt, die Buchhändler mit einem Päckchen signierter Bücher (Vorrat) bedacht, dann geht es zur Belohnung in die Kneipe - zumeist zum Italiener, denn die deutsche Küche hat sich um diese Zeit längst schlafen gelegt. Was aber bettet man gleich nach der Bestellung auf meine Serviette? Das von allen Autoren heiß-geliebte Gästebuch. Nervös beginne ich darin zu blättern. Mein Gott, wie geistreich die Kollegen alle waren! Und welch bedeutender Kopf hat sich hier schon verewigt! Wie soll man daneben noch bestehen?! Falls man allerdings das Vergnügen hat, schon viele Gästebücher durchgeblättert zu haben, dann erkennt man, daß auch die anderen nur Menschen sind. So manch origineller Zeitgenosse hat nicht jedesmal eine Erleuchtung, sondern trägt stur sein Standardverslein ins Poesiealbum ein. Wie gut, daß ich auf dem Flohmarkt einen Giftstempel mit Totenkopf erstanden habe - und schon füllen die grimmigen Schädel eine halbe Seite.
    Endlich werde ich in einem Konvoi von Buchhandlungs-, Bibliotheks- und Volkshochschulmitarbeitern zum Hotel geleitet. Gelegentlich sind auch einige Fans, die den gleichen Weg haben, dabei. »Wir bringen Sie noch um die Ecke«, versprechen sie.
    Wenn ich nach Lesung, Frage- und Signierstündchen, Atzung und Tränkung, nach der Eintragung ins Gästebuch und dem hochheiligen Versprechen, demnächst wieder in derselben Stadt zu erscheinen und aus einem druckfrischen Buch zu lesen, schließlich mutterseelenallein ins Hotelzimmer wanke, dann sinke ich röchelnd, fast entseelt, aufs fremde Bett. Die Fans haben sich an einer vielfachen Mörderin gerächt: Sie hat jetzt ausgeschnauft.

Das Händchen
    So müßte man wohnen, sage ich mir, wenn ich bei anderen Leuten in weite leere Räume trete: Lichtdurchflutet, von hohen Fenstern wehende weiße Gardinen, nur wenig Farben in Naturtönen und null Nippes. Bei uns ist alles voller Sachen, was Wunder, wenn man seit über vierzig Jahren verheiratet ist und seitdem oft und gern im In- und Ausland Flohmärkte besucht hat.
    Also wäre es nicht schwer, irgendeinen halbantiken Gegenstand aus unserem vollgestopften Haus zu selektieren und über Herkunft und Werdegang zu berichten. Uhren, Dosen, Kästchen, Vasen, Kunst und Kitsch - alles da. Suchend wandern meine Augen über Schätze, die für Puristen wahrscheinlich unsäglicher Plunder sind, und entdecke dabei einmal wieder das Händchen. Niemand mag es, trotzdem fristet es schon lange sein beklagenswertes Dasein zwischen Hüten und Mützen auf dem Dielenschrank.
    Als ich vor Jahren durch die Fußgängerzone einer fremden Stadt schlenderte und keine passenden Schuhe fand, wurde meine Frustration durch ein lustiges kleines Mädchen gemildert, das vor einem Laden stand und mit großer Energie immer wieder auf eine Fußmatte sprang. Auf der Matte war ein Pferdekopf abgebildet, und bei jedem Hopser ertönte aus einem unsichtbaren Lautsprecher ein vitales Wiehern. Erst auf den dritten Blick erkannte ich, daß es ein Geschäft für Scherzartikel war. In meiner Jugend wurde ich einmal auf eine Party eingeladen, wo man mit Senf oder Salz gefüllte Pralinen herumreichte. Ich biß herzhaft hinein und hasse seitdem Objekte dieser Art.
    Eigentlich wollte ich damals auf der Stelle weitergehen, aber der Inhaber kam heraus und lockte wie eine Knusperhexe. »Gleich gibt es Regen, treten Sie doch unverbindlich ein! Sie werden sich wundern, was man alles bei mir kaufen kann!« Tatsächlich fing es an zu tröpfeln, und ich stolperte

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