Falsche Zungen
unbekannten Erzeuger erfahren wollte, wurde meine Mutter weinerlich. Auch jetzt fing sie an zu schluchzen. Immerhin erfuhr ich, daß sie den verheirateten Gunnar auf der Göteborger Buchmesse kennengelernt hatte. Das gefiel mir gar nicht.
Tragischerweise mußte ich mir Tommy jetzt aus dem Sinn schlagen, und zwar am besten, bevor es zum Inzest unter Geschwistern kam. Ich schrieb ihm einen schicksalsschweren Brief und offenbarte ihm sowohl meine Liebe als auch die Trauer über ihre Ausweglosigkeit.
Als der zurückhaltende und rührend altmodische Tommy mein Geständnis las, war er überglücklich. Ohne mühselig werben zu müssen, hielt er einen schriftlichen Beweis meiner Gefühle in Händen und konnte seinerseits freudig zugeben, daß er ein wenig geflunkert hatte. Göteborg hatte er gesagt, weil er außer Stockholm keine andere Stadt in Schweden kannte. Sein Vater hieß in Wahrheit Herbert und stammte aus Bremen.
Nolls Nähkästchen
Wie man von seinen Fans um die Ecke gebracht wird
Was macht eine Schriftstellerin, wenn sie nicht schreibt? Sie zieht als Vorleserin von Stadt zu
Stadt.
Nach der Veranstaltung gibt’s häufig noch ein lustiges Frage-Antwort-Spiel. Erfahrene Buchhändlerinnen bieten ihren ganzen Charme auf, um stumme Fische zum Sprechen zu bringen. Auf jeden Fall kann ich mit der Frage rechnen: »Hat Ihr Mann Angst vor Ihnen?« Mit Sicherheit erwartet man, daß es einem Ehemann mißfällt, wenn seine Frau Mordphantasien hegt. Klar doch, zwar zittern alle Männer vor ihren Frauen, aber der arme Partner einer Krimiautorin kann nur mit Tranquilizern überleben.
Besonders leicht ist die Frage nach meinem Sternzeichen zu beantworten. Wenn ich es aber erraten lasse, tun sich die wißbegierigen Astrologen schwer. Nach vier falschen Ansätzen kommt meine Auflösung: »Ich bin im Schweinejahr geboren.«
Es gibt natürlich Fragen, zu denen mir keine Antwort einfällt. »Warum machen Sie so was überhaupt?« wollte ein sehr junger Mann wissen. »Wie kommt man auf so gemeine Gedanken?« fragte eine Frau. »Woher haben Sie Ihre Phantasie?« eine andere. Eigentlich müßte bei solchen Diskussionen ein Psychologe dabeisitzen und dem Publikum erklären, warum die Autoren so sind, wie sie sind.
Mit den liebenswürdigen Komplimenten, die ich zuweilen erhalte, will ich nicht weiter angeben. Ein Ehemann schalt mich ein wenig, weil seine Frau nachts nicht aufhören könne, meine Bücher zu lesen. Ich sei an seinen unfreiwillig schlaflosen Nächten schuld. Aber manchmal -zum Glück nicht oft - kommt herbe Kritik. Völlig geschmacklos, abscheulich, unter aller Sau. Okay, man kann’s ja nicht allen recht machen - aber warum sind die krimihassenden Opponenten überhaupt gekommen?
Nach dem Lesen und Diskutieren folgt das Signieren. »Für meine Mutter« und »Für meinen Mann zum Hochzeitstag« soll ich ins Buch schreiben; nach langen Erklärungen glaubt man mir endlich, daß ich solche Worte für den eigenen Mann und die eigene Mutter aufsparen möchte. Aber im Hotelbett überkommen mich Zweifel. Habe ich überhaupt das Recht, »Für Mechthild« in meinen Roman zu schreiben, wenn ich diese Frau persönlich gar nicht kenne? Wildfremde Leute erstehen meine Romane, und ich tue so, als würde ich sie verschenken. Signieren ist eigentlich Betrug, insofern könnte ich auch gleich »Für Mutti« in die Krimis für unbekannte Mütter schreiben. In der Schweiz, wo mir Urs, Beat, Romanus und Gallus noch hurtig aus der Feder flossen, ich mich aber mit Catherine, Marguerite und Jeannine-Therese etwas abplagte, schrieb ich - mürbe geworden - FÜR MI MA auf eine Titelseite. Zu spät erkannte ich, daß es nur eine andere Form für »mein Mann« war, so daß ich im fremden Land zur Bigamistin wurde.
1995 las ich im Deutschen Generalkonsulat in Shanghai, schließlich wurde ich in dieser Stadt geboren. Die Konsulin hatte nicht nur an die deutsche Kolonie, sondern auch an die Universität eine Einladung geschickt, denn es gibt eine Menge junger Chinesen, die dort Deutsch lernen. Zur allgemeinen Verwunderung strömten sie in Scharen herbei. Mit 17 fangen sie an zu studieren und sehen wesentlich jünger aus, die reinsten Kinder in Rüschenkleid mit Schleife im Haar. Vor mir saß also ein gemischtes deutsch-chinesisches Publikum, und ich versuchte, den verschiedenen Ansprüchen gerecht zu werden. Verstanden mich die jugendlichen Germanisten? Unbewegt lauschten sie, kicherten und schwatzten nie, husteten nicht und scharrten auch nicht
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