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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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wird.«
    »Ich habe heute mit ihm gesprochen.«
    »Aber er hat nicht mit mir gesprochen.«
    »Wenn du die Bullen anrufst, landet zumindest Twillwieder im Jugendknast. Wenn sie in irgendeine krumme Geschichte geraten sind, vielleicht auch alle beide.«
    »Dimitri ist ein guter Junge«, verkündete Katrina.
    »Er ist mit Twill unterwegs, Schatz, und du kennst ja Twill.«
    Eine Zeit lang herrschte Schweigen. Ich legte eine heiße Hand auf meinen kalten, kahlen, schmerzenden Kopf.
    »Komm ins Bett«, kapitulierte Katrina.
    »Ich glaube, dass ist keine so gute Idee. Lass mich einfach hier liegen, und ich verspreche dir, ich werde dafür sorgen, dass dein Sohn dich so bald wie möglich, hoffentlich schon morgen anruft.«
    Damit sank ich zurück auf mein Schlafsofa wie ein Vampir in seinen Sarg, eine Mumie in den Staub.
     
    Am nächsten Morgen war mir unter der Dusche speiübel, ich blieb jedoch im Strahl des eisigen Novemberwassers stehen, bis mein Kater neben Hunderten seiner Brüder als Erinnerung abgelegt war.
    Shelly und Katrina schliefen noch, als ich die Wohnung um 7.47 Uhr verließ.
    In einem Diner in der 57 th Street aß ich gebratenes Schweinekotelett und Rührei und trank dazu zwei dreifache Espressos. Das Schöne an der Gewissheit, dass man auf keinen Fall an Altersschwäche sterben wird, ist, dass man ohne Angst oder schlechtes Gewissen die falschen Dinge im Leben genießen kann.
     
    Um 9.17 Uhr stand ich vor der Werbeagentur Laughton and Price. Ihre Hauptfiliale liegt ein paar Blocks südlichvom Hunter College im siebten Stock eines alten Steingebäudes.
    Ich fühlte mich ziemlich gut, aber noch nicht bereit für die Treppe.
    Als ich aus dem Fahrstuhl trat, stand ich vor einer Glastür, die von einer jungen karamellfarbenen Empfangssekretärin bewacht wurde, die an einem Schreibtisch hinter einer niedrigen Kupferwand saß.
    Ich winkte.
    Sie starrte mich finster an.
    Ich lächelte.
    Ihre Entschlossenheit bröckelte.
    Ich zog die Schultern hoch, und sie betätigte den Türöffner.
    »Guten Morgen«, sagte ich und drückte mich mit der Hüfte gegen die Kupferwand.
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    Sie war zweifelsohne Amerikanerin, doch ich war mir sicher, dass mindestens ein Elternteil von einer britischen Insel in der Karibik stammte. Eine der Freuden des Lebens in New York besteht darin, dass es hier so viele Arten von Schwarzen gibt. Afrikaner, Leute von den Inseln, Ober- und Unterschicht, Akademiker, Südstaatler und eine Mischung aus allem.
    »St. Lucia?«, fragte ich.
    »Was?«
    »Stammen Ihre Eltern aus St. Lucia?«
    »Mein Vater ist dort geboren. Wer sind Sie?«
    »Mein Name ist John Tooms.«
    »Und was wollen Sie von mir, Mr. Tooms?«
    »Nichts, Babbett«, antwortete ich, den Namen vonihrem Schild ablesend. »Ich möchte gern mit Larry Spender über Angelique Lear sprechen.«
    »Aber woher wussten Sie das über mich?«
    »Wegen Ihrer Art zu reden«, sagte ich. »Und daran, wie Sie die Schultern straffen. Außerdem haben die Menschen von der Insel Ihres Vaters die Eigenschaft, dass sie einen freundlich stimmen.«
    Babbett lächelte und ich auch.
    »Setzen Sie sich, Mr. Tooms. Ich sage Mr. Spender, dass Sie hier sind.«
     
    In einer kleinen Grotte waren pinkfarbene Stühle um einen Chromtisch gruppiert, auf dem sich teure Design- und Modemagazine stapelten, von denen ich nie gehört hatte. Es waren die Art Zeitschriften, die auch eine nackte Frau mit unbedeckten Brustwarzen auf dem Titel abbilden konnten, ohne dass die Zensur verrücktspielte. Das hier war Kunst, keine Pornographie … trotzdem erwärmten die Frauen mein mit Cognac verdünntes Blut.
    »Mr. Tooms?«
    Er trug einen schicken, aber preiswerten, mittelgrauen Anzug, der nicht zum Braun seiner Augen passte, die traurig aussahen, auch wenn er sich ein Lächeln abrang. Das war eine der kleinen Errungenschaften der modernen Welt: Menschen schafften es, höflich zu bleiben, auch wenn sie an Depressionen, Krebs oder unter unersetzlichen Verlusten litten.
    »Mr. Spender?«
    »Haben Sie Neuigkeiten von Angie?« Er war Ende vierzig und alterte rapide. Obwohl er mehr Haare hatte als ich, wurde er wohl kahl genannt.
    Und auch wenn er eher weiß war als irgendwas anderes, konnte man an Mr. Spenders vielgestaltigen Gesichtszügen ablesen, dass seine Sippe schon sehr lange in Amerika war. Seine abgerundete Nase und die kleinen Augen, die fleischigen Wangen und das wellige braune Haar erzählten von zahlreichen Rassen, die Europa und Afrika durchquert hatten

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