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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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Arbeitsplatzbeschreibung zufolge musste er mich der Gerechtigkeit zuführen, was immer das bedeutete. Aber dabei hielt er sich stets an die Regeln. Nie würde er jemanden anders als gemäß den Buchstaben des Gesetzes zur Strecke bringen. Bethann Bonilla aber war ein noch selteneres Exemplar. Sie hatteMitgefühl, keine Liebe oder auch nur echtes Interesse, nur ein Gefühl dafür, wer ich war.
    »Was wissen Sie über die Morde, Mr. McGill?«
    »Ich bin nicht an diesem Fall dran, Lieutenant. Ich weiß nicht mal, was in den Zeitungen steht, weil ich keine Zeit hatte, sie zu lesen.«
    »Woran arbeiten Sie denn?«
    »Keine Strafsache.«
    »Hat es mit Wanda Soa zu tun?«
    »Nicht, dass ich wüsste.«
    »Was hatten Sie dann vor ihrem Haus zu suchen?«
    »Das habe ich doch schon erklärt.«
    »Erwarten Sie von mir, Ihnen zu glauben, dass Sie sich das nicht auch selber gefragt haben?«
    »Hören Sie«, sagte ich. »Wenn Sie morgen zur Arbeit kommen und niemand in der Stadt ein Verbrechen begangen hat, werden Sie trotzdem bezahlt. Und wenn Sie einen Schuss ins Bein abbekämen und ein halbes Jahr krankgeschrieben wären, würden Sie immer noch alle zwei Wochen einen Gehaltsscheck bekommen. Ich hingegen muss mir jeden Dollar im Schweiße meines Angesichts erarbeiten. Ich habe keine Zeit, mir Gedanken über eine Frau zu machen, die mich angerufen hat. Ich kann mir den Luxus der Neugier nicht leisten.«
    »Charbon macht sich große Sorgen wegen des Falls«, sagte sie.
    Das war eine Drohung. Captain James Charbon war meine persönliche Tonnenladung Ziegelsteine um den Hals. Kitteridge wollte mich bloß im Gefängnis sehen, Charbon am liebsten darunter.
    »Was wollen Sie von mir haben?«, fragte ich sie. Ich musste.
    »Alles, was Sie wissen.«
    »Okay. Hören Sie mir bitte zu. Ich habe nie von der Frau gehört, bevor Sie mir ihren Namen gesagt haben. Ich bin angerufen worden, aber man kann ja wohl schlecht von mir erwarten, die Stimme einer Toten zu identifizieren. Vielleicht könnte ich versuchen herauszufinden, was Sie wissen möchten, wenn Sie mir das Problem schildern.«
    »Es gibt nichts als Probleme. Soas Wohnung war die reinste Partyhöhle. Allein im Wohnzimmer haben wir sechsunddreißig verschiedene Fingerabdrücke sichergestellt. An den Wänden, auf dem Fußboden, unter der Couch. Männer, Frauen, vielleicht sogar Kinder. Überall Fingerabdrücke, nur auf dem Messer nicht. Es wurde mit einem Tuch abgewischt, das wir am Tatort nicht gefunden haben. Die Pistole ist auch verschwunden.«
    »Haben Sie eine Theorie, wie der Mann getötet wurde?«
    »Wir gehen davon aus, dass unser John Doe die Waffe auf Wanda richtete, als irgendjemand ihn von der Seite attackierte und ihm in die Brust stach. Dabei löste sich wahrscheinlich ein Schuss und tötete das Mädchen. Direkt danach ging der Mörder zu Boden.«
    »Und der zweite Mörder«, fuhr ich fort, »hat den Griff des Messers abgewischt und die Pistole mitgenommen … vielleicht zu seinem Schutz.«
    »So sehen wir das auch. Der unbekannte Tote war ein Profi. Keine Papiere, nicht mal Etiketten in der Kleidung.«
    »Das ist nicht gerade viel«, sagte ich.
    »Und wenn ich nicht noch irgendwas finde, könnenSie drauf wetten, dass Captain Charbon die Sache Ihnen anhängt.«
    »Wenn sich etwas ergibt«, sagte ich, »irgendwas, sage ich Ihnen oder Carson Bescheid.«
    »Es ist mein Fall.«
    »Dann sage ich es Ihnen.«

22
    Es war nach zwei, als ich nach Hause kam. Ich konnte mir nicht vorstellen, mich der Prüfung der Treppe zu unterziehen, also nahm ich den Aufzug, öffnete leise die Wohnungstür, hängte den scheußlichen gelben Anzug auf den Ständer in meinem Zimmer, legte mich auf das Schlafsofa und seufzte wie ein Schwarzbär am ersten Tag seines Winterschlafs. Ich hatte bloß fünf kleine Cognacs getrunken, aber in meinem Alter und zu dieser Stunde reichte es, dass die Welt sich um mich herum drehte, als wollte sie auseinanderfliegen.
    Bonilla hatte mir ein ernsthaftes Problem präsentiert, das ich als Ursache meiner offenbar dauerhaften Kopfschmerzen erkannte.
    Captain James Charbon konnte mich nicht ausstehen. Er war ein hart arbeitender Staatsdiener mit vielen offenen Fällen, so dass er mich meistens in Ruhe ließ. Aber wenn eine Ermittlung auf seinem Schreibtisch landete, an der irgendwo mein Name klebte, entwickelte er eine regelrechte Besessenheit, mir etwas, irgendetwas anzuhängen.
    Diese Leidenschaft wurde von einem außergewöhnlichen Hochmut gespeist.
    Als Charbon noch

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