Falscher Ort, falsche Zeit
Packen, und Lonnie widersprach nicht. Ich ließ das Geld los und sah es in Petes Overall verschwinden.
»Sonst noch was?«, fragte ich, nur um etwas zu sagen.
»Ja«, antwortete Lonnie. »Sie hat gesagt, dass ihr das Glück ausgegangen ist.«
»Was hat sie damit gemeint?«
»Sie hat Figg erklärt, dass sie seit jetzt ziemlich genau sieben Jahren eine echte Glückssträhne gehabt hatte. Und dass sie nun wohl dafür zahlen muss.«
Ich verdaute diese kleine Meinungsäußerung aus zweiter Hand und stand auf.
»Wollen Sie Ihr Bier nicht austrinken?«, fragte mich Pete.
»Man soll das Eisen schmieden, solange es heiß ist«, erwiderte ich. »Ich lass China einen Fünfziger da. Viel Spaß noch.«
34
Auf dem Weg ins eigentliche Village dachte ich über das Glück nach. Wanda Soa hatte definitiv kein Glück gehabt. Und der Mann, der sie erschossen hatte, hatte dieses Schicksal mit ihr geteilt. Ron Sharkey und ein halbes Dutzend andere, auf die ich meine Aufmerksamkeit konzentrierte, waren vom Pech verfolgte arme Schweine, die hinterrücks von Katastrophen ereilt worden waren, als sie ihren Sommerurlaub, ihren Ruhestand oder die Wochenenden mit ihren Enkeln geplant hatten.
In dieser Hinsicht hatten Angie und ich etwas gemeinsam: Wir waren Nachfahren von Typhoid Mary, die über den Boden wandelten, in dem eines nicht allzu fernen Tages unsere glücklosen Opfer begraben werden würden.
Mein Handy klingelte und bewies mir zumindest für den Moment, dass die Vorsehung die Gebieter des Bösen begünstigt.
»Hey, Breland«, meldete ich mich. »Was gibt’s?«
»Ron Sharkey ist verhaftet worden. Man hat ihn in diesen FBI -Sonderposten südlich der Houston Street auf der West Side gebracht.«
»Wie lautet die Anklage?«
»Es gibt noch keine, aber die Beamten, die ihn verhaftet haben, haben von Terrorismus gesprochen.«
»Das ist nicht dein Ernst.«
»Das hat der Mann gesagt.«
»Kann ich ihn besuchen?«
»Ich arbeite dran. Bist du in der Stadt?«
»Ruf mich an, wenn du etwas hast.«
Das Takahashi’s ist ein Café im dritten Stock eines unauffälligen Gebäudes zwischen University Place und 5 th Avenue. Twill hatte den Laden entdeckt, als er erst zwölf Jahre alt und Schuleschwänzen seine Lieblingsbeschäftigung war. Er mochte die Leute, die das seltsame Lokal führten, und lernte sogar ein paar Sätze Japanisch. Es gab guten Kaffee, großartigen Tee, eine kleine Speisekarte, Schälchen mit Gratisreiscrackern und abends diverse Veranstaltungen von Lyriklesungen bis zu Konzerten mit asiatischen Streichinstrumenten.
Tagsüber war das Café nicht besonders gut besucht.
Es war der perfekte Ort für heimliche nachmittägliche Verabredungen.
Ich kam um 15.53. Twill war schon da. Er saß an einem Fenster mit Blick auf die Straße.
Ich winkte den Besitzern am anderen Ende des langen leeren Raums zu. Angel und Kenji winkten lächelnd zurück.
»Hey, Pops«, sagte Twill, als ich ihm gegenüber Platz nahm. »Was gibt’s?«
Ich blickte in das dunkle attraktive Gesicht meines Sohnes und schüttelte den Kopf. Ich wollte böse auf ihn sein, aber das würde verdammt schwer werden. Er war vielleicht nicht unbedingt ehrlich, doch er war ein guter Junge – nein, ein guter Mann im Körper eines Jungen.
» Been down so long «, sagte ich, » looks like up to me .«
»Das ist ein Buch, oder?«
»Ja. Woher wusstest du das?«
»Mardi bringt mich zum Lesen«, sagte er. »Ich hab ihr irgendwann mal erzählt, dass ich nicht viel lese, weil es eine Million Bücher gibt und ich nie weiß, welches man lesen sollte. Ich meine, die Lehrer reden ständig über Mark Twain, Charles Dickens und den Scheiß. Aber ich verstehe nicht, was das, was sie schreiben, mit mir zu tun hat. Aber dann hat Mardi gesagt, dass es nicht darum geht, was in einem Buch steht, sondern nur darum, dass man überhaupt liest, weil es den Geist bildet und so. Das hörte sich gut an, weil ich dann ja lesen kann, wozu ich Lust habe, und den anderen immer noch was voraushabe.«
Eine der Fallgruben, mit der mein Sohn aufwarten konnte, war seine einnehmende Konversation. Er wusste, wie sehr ich es liebte, mit Ideen zu spielen, vor allem, wenn sie etwas mit einem Denken zu tun hatten, das den alltäglichen Ansichten zuwiderlief. Und er wusste, wie gerne ich las.
»Rede mit mir, Twill.«
Das entlockte dem jungen Mann ein breites Grinsen.
»Sie heißt Tatjana Baranovich«, sagte er. »Baranovich. Sie kommt aus einer Stadt namens Minsk und hat jedes Stipendium
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