Falsches Blut
Morgen gemeinsam mit einem unserer Kriminaltechniker die Aufzeichnungen der Überwachungskameras aus dem Cutting-Haus ansehen wollen, doch dann kam alles anders: Tom Garrity hatte mir zwar wie verabredet das Video zugeschickt, doch seine Mail war nicht die einzige in meinem Posteingang. Susan Mercer hatte sich gemeldet, und diesmal schien sie ernsthaft sauer zu sein. Ich solle sie so schnell wie möglich zurückrufen, teilte sie mir mit. Da ich offiziell im Urlaub war, hätte ich die Mail ohne Weiteres ignorieren können; das Problem war nur, dass ich nach dem Studium bei der Staatsanwaltschaft anfangen wollte und Susan im Einstellungsgremium saß– genauer gesagt, Susan war das verdammte Gremium. Deshalb wäre es nicht der allerklügste Schachzug, es mir mit ihr zu verscherzen. Ich sah auf die Uhr. Es war zehn nach acht– sie war garantiert schon im Büro. Ich rief ihre Sekretärin an und ließ mich durchstellen.
Susan war tatsächlich stinksauer. » Detective Rashid « , flötete sie sarkastisch in den Hörer. » Wie schön, von Ihnen zu hören. Wie gefällt es Ihnen im Urlaub? «
» Äh, ganz gut « , antwortete ich. » Sehr entspannend. «
» Komisch, ich höre da allerdings ganz andere Sachen « , blaffte Susan. » Ich will, dass Sie auf der Stelle herkommen. Hier sind ein paar Leute, die mit Ihnen reden wollen. «
» Und haben diese Leute auch einen Namen? « , fragte ich.
» Ja, haben sie. Seien Sie um neun Uhr hier, dann werden Sie sie erfahren. «
Susan knallte den Hörer mit einer solchen Wucht auf die Gabel, dass mir die Ohren klingelten. Das verhieß nichts Gutes. Hannah war mit Megan zum Schwimmkurs gefahren, der bereits um acht Uhr anfing, deshalb hatte ich das Haus für mich allein. Hektisch sprang ich unter die Dusche, verschlang eine Scheibe Toast und kippte eine Tasse Kaffee hinunter. Dann stürzte ich aus dem Haus.
In den Räumen der Staatsanwaltschaft herrschte die gewohnte hektische Betriebsamkeit. Die meisten dienstälteren Staatsanwälte hatten ihre eigenen Büros; nur die jüngeren mussten sich ein Großraumbüro teilen, so wie die Detectives auf dem Revier. Da praktisch kein Richter der Stadt die erste Verhandlung vor neun Uhr ansetzt, liefen so viele gut gekleidete Leute auf den Fluren herum, dass ich das Gefühl hatte, auf einer Weihnachtsfeier zu sein. Ich schob mich durchs Gedränge zur Abteilungskaffeemaschine. Der Kaffee hier schmeckte wesentlich besser als die IMPD -Brühe – vermutlich war er eines der Highlights, wenn man für die Staatsanwaltschaft arbeitete. Ich schenkte mir eine Tasse ein und machte mich auf den Weg zu Susans Büro. Ein paar Leute starrten mich an und tuschelten; einige, mit denen ich zusammenarbeitete, raunten mir sogar ein » Viel Glück « zu. Das ließ tatsächlich nichts Gutes ahnen.
Susans Sekretärin fing mich vor ihrem Büro ab und führte mich zu dem einzigen Konferenzraum auf dem Stockwerk. Um diese Uhrzeit war er normalerweise bereits von Anwälten besetzt, die eidesstattliche Aussagen aufnahmen oder sich mit einem Vertreter der Staatsanwaltschaft zu einer Vorbesprechung des Verfahrens trafen. Doch nicht heute Morgen. Die Jalousien waren geschlossen, so dass ich nicht sehen konnte, wer sich in dem Raum aufhielt. Ich legte die Hand auf den Türknauf, hielt jedoch einen Moment inne, bevor ich eintrat.
» Wissen Sie, wieso die mich sehen wollen? « , fragte ich die Sekretärin.
» Weil die Hütte brennt « , antwortete sie. » Viel Glück. «
Ich dankte ihr und öffnete die Tür.
Bodentiefe Fenster gaben den Blick auf das Gerichtsgebäude und die belebten Straßen frei. Blinzelnd sah ich mich um. Der Konferenztisch bot Platz für zehn Personen, allerdings waren nur drei Stühle besetzt: Susan, Lieutenant Mike Bowers und Jack Whittler, der leitende Staatsanwalt mit einer 3-Millionen-Dollar-Wahlkampagne im Rücken und einem Yale-Abschluss in der Tasche. Mein Magen verkrampfte sich.
» Was kann ich für Sie tun? « , fragte ich und schloss die Tür hinter mir. » Ich bin im Urlaub. «
» Setzen Sie sich, Detective Rashid « , forderte Whittler mich auf und deutete auf den Stuhl vor ihm. » Mir sind da ein paar Dinge zu Ohren gekommen, zu denen ich gerne Ihre Stellungnahme hätte. «
Ich zog den schwarzen Lederdrehstuhl unter dem Tisch hervor und setzte mich. Dann sah ich mich ein weiteres Mal um. Whittler war der Einzige, der mich nicht ansah, als wollte er mir an die Gurgel gehen.
» Okay « , sagte ich und ließ den Blick über die drei
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