Falsches Spiel
Carter, María Inés und Andrea Vilches erzählen müssen.
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Ich ließ Carla schlafen. María und Espiño wies ich an, so lange wie möglich den Tod ihrer Freunde vor ihr geheim zu halten. Um diese schlimme Nachricht verkraften zu können, musste sie erst vollständig wiederhergestellt sein. Sie durfte auf keinen Fall einen Rückfall erleiden. María und Espiño waren derselben Meinung. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich Carla aus dieser vertrackten Situation befreien sollte.
Gegen sechs kam ich im Büro an. Ich wollte allein sein, um meine Gedanken zu ordnen. Man hatte mich angeheuert, ein junges Mädchen zu finden, das vermeintlich in einem Anfall von Rebellion abgehauen war, und auf einmal steckte ich bis zum Hals in einer Geschichte, an der Militärs und Polizisten beteiligt waren, die Guerilla-Kämpfer töteten, und Ärzte, die miteinander vögelten und währenddessen über Leben und Tod anderer Menschen entschieden. Ich war kein barfüßiger Karmeliter, aber es fiel mir doch schwer, das alles zu verdauen. In welch trübe Gewässer war ich da nur geraten. Ich glaubte Carla, und doch wurde ich den Gedanken nicht los, dass sie übertrieb. Die Polizei, so eigenmächtig sie auch gern handelte, konnte doch nicht ein solches Massaker anrichten! Und dass die Militärs an einem solchen Wahnsinn beteiligt waren, konnte ich mir erst recht nicht vorstellen. Natürlich hatte ich Geschichten über illegale Verhaftungen gehört, aber dass sie hergingen und aus dem Hinterhalt Menschen töteten, erschien mir doch überzogen. Schließlich waren es die Militärs, die seit Jahren die Kohlen aus dem Feuer holten, während die korrupten Politiker dafür sorgten, dass im Land alles den Bach runterging. Allein die Vorstellung, aus der Armee könnte eine solche paramilitärische Organisation hervorgehen, ließ mir die Haare zu Berge stehen.
Ich versuchte, mich auf die Tatsachen zu konzentrieren und eine Bestandsaufnahme zu machen. Und je weiter ich fortschritt, desto unglaublicher kam mir die Geschichte vor. Schließlich hatten sie sowohl das Gesetz als auch die Waffen auf ihrer Seite, sagte ich mir. Aber sogleich erinnerte ich mich an die Entführung der jungen Leute in Mercedes, die María mit eigenen Augen gesehen hatte, und dass Gutiérrez ihren Tod bestätigt hatte. Es lief mir eiskalt den Rücken runter. Ich bekam Angst. Es war keine kontrollierbare Angst, wie ich sie kannte; die Tatsache, dass auch der letzte noch bestehende Rest einer zivilisierten Gesellschaft zum Teufel ging, ließ mich erschaudern. Ich musste mit Espiño sprechen. Er hatte einen Krieg erlebt. Vielleicht konnte er mir helfen, das Ganze zu verstehen.
Meine geistigen Höhenflüge wurden abrupt unterbrochen, als mir siedend heiß einfiel, dass die Bundespolizei jeden Moment anrufen und mich zu der Gegenüberstellung im Mordfall Marcelo einbestellen konnte. Man würde mich zweifelsfrei identifizieren, und ich würde in den Knast wandern. Ich goss mir einen doppelten Whisky ein und stürzte ihn hinunter. Mit dem erneut gefüllten Glas marschierte ich zum Schreibtisch. Ich musste zur Ruhe kommen.
Ich setzte mich auf den Schreibtischstuhl, legte die Füße auf den Tisch und warf einen Blick auf die Lexicon. Es hatte nicht viel Sinn, den Bericht weiterzuschreiben, wem hätte ich ihn denn aushändigen sollen? Forrester lebte nicht mehr, dessen war ich mir sicher. Wie ich auf diesen Gedanken kam, konnte ich mir nicht erklären, vielleicht war meine Verachtung für Forrester zu dem Zeitpunkt schon so tief, dass ich ihn gern tot gesehen hätte.
Ich schloss die Augen, um ein Weilchen zu dösen, doch die Denkmaschine in meinem Kopf ratterte weiter. Die Köder waren ausgelegt, und nun hieß es abwarten, bis meine Gegner in Aktion treten würden. Ich wusste nicht einmal, was sie unternehmen würden – ein beklemmendes Gefühl. In die Stille hinein schrillte das Telefon. Abwesend starrte ich auf den Apparat. Es war bestimmt Gutiérrez, der mir sagen wollte, wann ich auf dem Revier zu erscheinen hatte. Kurz überlegte ich, erst gar nicht abzunehmen, aber dann sagte ich mir, ich sei ohnehin geliefert, es blieb mir nichts anderes übrig, als den Tatsachen ins Auge zu blicken. Wie ein Freund aus Kindertagen zu sagen pflegte: In manchen Momenten muss man improvisieren.
Ich nahm den Hörer ab, ohne mich zu melden.
»Hallo, wer ist da?«, hörte ich am anderen Ende. Es war Andrés Tudor.
»Pedro Rosas«, erwiderte ich erleichtert.
»Den ganzen Tag schon
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