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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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gepreßt waren, Guidos Hände seine Schultern kne-teten, ihn fest an sich zogen. Dann merkte er an Guidos kehli-gem Schrei, daß es vorbei war.

    Aber Tonio wischte sich, aufgewühlt und voller Sehnsucht, wie betäubt über den Mund. Er konnte seine Hände nicht von Guido lassen, aber es war Guido, der seine Arme unter Tonios Körper schob, sein Becken anhob, während sein Mund Tonios Organ mit feuchter Wärme umschloß und gierig daran saugte.
    Es war ein köstliches Gefühl, intensiver, heftiger, als es bei Domenico je gewesen war. Er biß die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien. Als Guido ihn wieder freigab, fiel er zurück, drehte sich um, den Kopf in den Armen vergraben, die Knie an den Körper gezogen, während die letzten Wellen der Lust verebbten.
    Er hatte Angst.
    Er war allein. Er konnte die Stille wieder hören. Die Welt kam wieder zurück, aber er konnte nicht einmal mehr den Kopf heben.
    Während er sich einredete, daß er nichts erwartete, wußte er doch, daß er in diesem Augenblick um alles hätte betteln können. Aber er spürte Guido in seiner Nähe. Guidos Hände, kräftig und stark, die jetzt versuchten, ihn zu sich herzuziehen.
    Tonio erhob sich abrupt und preßte sein erhitztes Gesicht an Guidos Schulter, spürte dabei, wie Guidos staubige Locken seine Wangen streiften. Guido schien ihn mit seinem ganzen Körper zu umfangen. Da war Guido. Hier zusammen mit ihm, Guido, der ihn festhielt, ihn liebte und jetzt ganz zärtlich küßte, und sie waren vollkommen vereint.

    Tonio war ganz benommen und schien nicht zu wissen, wohin er ging, nur, daß sie in der Winterkälte durch saubere Straßen schritten und daß der Fackelschein an den Wänden von erschreckender Schönheit war. Die Luft war erfüllt vom Geruch der Herdfeuer und brennender Kohlen, die Fenster, die an jeder Biegung aus dem Dunkel tauchten, waren von wunder-barem gelben Licht erhellt. Dann war da wieder Schwärze, das Rascheln trockener Blätter, während Guido und er durch wilde und gierige Küsse, durch Umarmungen, die keine Zärtlichkeit kannten, nur Hunger, aneinandergeschmiegt waren.
    Als sie die Taverne erreichten und die Tür aufschwang, schlug ihnen einladende Wärme entgegen. Sie preßten sich inmitten all des Lärms, des Degengerassels, des lauten Krachens, wenn jemand seinen Krug auf dem hölzernen Tisch absetzte, in den tiefsten Alkoven. Eine Frau sang. Ihre Stimme war dunkel und volltönend wie der Klang einer Orgel. Einer der Schä-
    fer aus den Bergen spielte auf seiner Flöte, überall ringsum sangen die Leute.
    Sie tranken und tranken. Wann Guido dann zu sprechen angefangen hatte, wußte er nicht, nur, daß er ihm mit leiser, rauher Stimme, mit einem trotzigen Flüstern, das tief aus seiner Brust kam, all jene Geheimnisse erzählte, die er noch nie jemandem zu erzählen gewagt hatte. Abermals spürte Tonio, wie sich sein Mund unwillkürlich zu einem Lächeln formte, und das einzige, was ihm in den Sinn kam, war: Liebe. Liebe, du bist meine Liebe. Irgendwann sagte er diese Worte auch laut und sah daraufhin Guidos Augen aufleuchten. Liebe, Liebe, du bist meine Liebe, und ich bin nicht allein, nicht allein, wenigstens für diese kurze Zeit.

    8

    Jede Nacht schliefen sie miteinander, getrieben von unstillba-rem Hunger und animalischer Grausamkeit. Hinterher zeigten sie jedoch immer eine unaussprechliche Zärtlichkeit, die dem Ganzen Gestalt gab. Sie schliefen eng umschlungen ein, so als wollten sie miteinander verschmelzen, und stets waren da jene wilden, gierigen Küsse. Am Morgen standen die beiden dann gemeinsam auf, um noch vor Tagesanbruch in Guidos Studierzimmer zu arbeiten.
    Der Unterricht war jetzt ganz anders.
    Nicht, daß er weniger anspruchsvoll gewesen wäre oder daß Guido weniger streng oder gereizt war, wenn Tonio etwas nicht richtig machte. Ihre gemeinsame Arbeit war jetzt jedoch intensiver, da sie nun vertrauter und aufmerksamer miteinander umgingen.

    Tonio hatte Guido, als er damals seinen Schwall unvorsichtiger Worte nicht mehr hatte zurückhalten können, versprochen, daß er sich ihm öffnen würde. Nun aber wurde ihm langsam klar, daß er das stets getan hatte, wenigstens was die Musik anbetraf. Jetzt war es Guido, der sich ihm öffnete. Guido erkannte zum ersten Mal an, daß Tonio nicht nur aus Körper und Stimme bestand, sondern auch einen Verstand hatte, der beides beherrschte, und er begann diesem Verstand die Prinzipien anzuvertrauen, die seinen gnadenlosen, sich ständig wiederholenden

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