Falsetto
einfach.«
Eine ganze Weile sah Tonio Francesco einfach nur zu. Er sah zu, wie Francesco seine Notenblätter einsammelte, sah zu, wie er sich von den anderen verabschiedete, sah ihn hinausgehen.
Als Tonio dann allein in dem riesigen Zimmer stand, kam ihm erst richtig zu Bewußtsein, was Francesco da gesagt hatte.
Langsam ging er auf die Treppe zu.
Er redete sich ein, daß das nicht stimmen konnte. Es bedeutete nichts. Vielleicht hatte er Francesco auch einfach nur falsch verstanden.
Natürlich konnte der Musiker nicht wissen, daß er und Guido ein Liebespaar waren, das wußte ja niemand.
Als Tonio jedoch oben in dem dunklen Korridor angelangt war, zitterte er am ganzen Leib.
Er lehnte sich an die Wand. Das Schwindelgefühl von vorhin kam zurück. Plötzlich wollte er weg aus diesem Haus, weit, weit weg. Doch er verharrte reglos.
Er mußte nicht lange warten.
Weiter unten im Flur öffnete sich eine Tür. Im Licht, das sich auf den geblümten Teppich ergoß, erschienen Guido und die Contessa. Ihr molliger kleiner Körper steckte immer noch in einem kostbaren Ballkleid, aber ihre Frisur war aufgelöst. Und Guido, der sich ihr zärtlich zuwandte, beugte sich hinunter, um ihr zum Abschied einen Kuß zu geben.
Ihre Silhouetten verschmolzen im Schatten. Dann war die Contessa fort, und mit ihr das Licht. Guido ging auf den obersten Treppenabsatz zu.
Tonio, der das Ganze beobachtet hatte, war sprachlos. Immer noch sprachlos sah er jetzt zu, wie Guidos undeutliche Gestalt näher kam.
Aber dann, als sich ihrer beider Blicke begegneten, bemerkte er den Ausdruck, der auf Guidos Gesicht lag, und es bestand für ihn nicht mehr der geringste Zweifel.
12
Er weinte. Er weinte, als wäre er ein kleiner Junge, aber das war ihm egal. Er konnte das Ganze einfach nicht akzeptieren.
Guido hatte ihn hintergangen. Guido hatte ihm ganz bewußt weh getan.
Und jetzt war da Guido und redete mit ihm in diesem kalten, monotonen Ton und ersparte ihm nichts! Was hatte er erwartet? Entschuldigungen, vielleicht sogar Lügen? Guido erklärte Tonio, daß er ihn gewarnt hätte. Er würde sich Frauen nehmen, wann und wo er konnte. Das hätte nichts mit der Liebe zwischen ihnen beiden zu tun.
»Ach, aber du hast mich zum Narren gehalten!« flüsterte Tonio. Er konnte nicht mehr klar denken.
»Wie soll ich dich zum Narren gehalten haben? Glaubst du denn, ich würde dich nicht lieben? Tonio, du bist mein Leben!«
Aber da waren keine Entschuldigungen, da war keine Reue.
Da war kein Versprechen, damit aufzuhören. Da war nichts als diese Kälte und diese leise Stimme, die immer wieder dieselben Worte wiederholte.
»War es nur heute abend, oder gab es da noch andere Ma-le?«
Guido wollte nicht antworten. Er stand still da, die Arme verschränkt, den Blick auf Tonio geheftet, so als wäre er völlig unempfänglich für das Unglück, das er angerichtet hatte.
»Also gut, wie lange geht das schon? Wann hat es angefangen?« schrie Tonio. »Seit wann bin ich dir nicht mehr genug, sag es mir?«
»Mir nicht mehr genug? Du bist die Welt für mich«, sagte Guido sanft.
»Aber du willst sie nicht aufgeben. ..«
Guido sagte nichts.
Es hatte keinen Sinn, weiter darüber zu reden. Er wußte, daß die Antworten immer gleich lauten würden. Der Schmerz schien unerträglich. Er vibrierte durch jede Faser seines Wesens, und es schien, als würde die kleine Welt, die er sich hier aufgebaut hatte, ins Schwanken geraten, zerbersten. Was spielte es für eine Rolle, daß er einst einen schlimmeren Schmerz erfahren hatte? Das alles kam ihm unwirklich vor, es war dieser Augenblick, der jetzt für ihn Wirklichkeit war.
Er wollte aufstehen, weggehen. Er wollte Guido niemals wiedersehen, auch nicht die Contessa, noch sonst jemanden hier.
Aber das war undenkbar.
»Ich habe dich geliebt...«, flüsterte er. »Es hat für mich nie jemand anderen als dich gegeben. Es hat nie jemand anderen gegeben.«
»Du liebst mich auch jetzt noch, und für mich gibt es nur dich«, antwortete Guido. »Das weißt du auch.«
»Sag nichts mehr. Laß es einfach. Je mehr du sagst, desto schlimmer wird es nur. Es ist vorbei.«
Doch sobald er das gesagt hatte, merkte er, daß Guido auf ihn zukam.
Gerade eben war er sich noch sicher gewesen, daß er Guido schlagen würde, doch nun wandte Tonio sich ihm zu. Es war beinahe so, als könne er Guido selbst jetzt, da dieser ihn so unglücklich machte, nicht widerstehen. Als Guido nun abermals flüsterte: »Du bist mein Leben«, da
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