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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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drehte sich um, verbeugte sich, nahm die Hand ihres Tanzpartners und schritt mit schwingendem Rock die Reihe der Tänzer entlang.
    Plötzlich lachte Piero und gab Tonio einen Stoß in die Rippen.
    »Ah, hinter der bist du also her«, flüsterte er.
    Tonio wurde rot. Zorn flammte in ihm auf, aber er unterdrückte ihn sofort. »Keineswegs, ich weiß nicht einmal, wer sie ist. Sie ist mir nur gerade aufgefallen.«
    Er gab sich Mühe, möglichst gleichgültig zu wirken. Nachdem er einen vorbeigehenden Kellner herangewinkt hatte, nahm er sich ein neues Glas Weißwein, hielt es gegen das Licht und betrachtete fasziniert die Flüssigkeit im Kristallkelch.
    »Geh hin und mach ihr ein paar Komplimente, dann malt sie vielleicht ein Bild von dir«, sagte Piero. »Sie malt dich auch nackt, wenn du sie läßt.«
    »Wovon redest du denn da!« sagte Tonio scharf.
    »Sie malt nackte Männer.« Piero lächelte, als mache es ihm ungeheuren Spaß, Tonio zu ärgern. »Natürlich sind es Engel und Heilige, aber sie haben nicht viel auf dem Leib. Wenn du mir nicht glaubst, dann geh in die Kapelle der Contessa und überzeuge dich selbst davon. Die Wandgemälde über dem Altar stammen alle von ihr.«
    »Aber sie ist doch noch so jung!«
    »Ja, nicht wahr!« flüsterte Piero mit einem breiten Lächeln.
    »Und wie heißt sie?«
    »Ich weiß es nicht, frag die Contessa. Sie ist mit der Contessa verwandt. Aber warum lachst du dir nicht irgendeine andere hübsche Dame hier an? Mädchen wie dieses bringen einem nämlich nur Ärger...«

    »Nun, das steht jetzt wirklich nicht zur Debatte«, sagte Tonio heftig.
    Eine Malerin. Und sie malt Wandgemälde. Die Vorstellung entsetzte ihn, sie quälte ihn, verlieh dieser jungen Frau ein luxuriöses neues Wesen. Plötzlich schien die gleichgültige Haltung, die sie an sich hatte, um so verführerischer. Es schien ihr vollkommen gleichgültig zu sein, wie sie nach außen wirkte. Dabei war sie so hübsch! War Rosalba, die venezianische Malerin, auch so hübsch? Wenn es so war, warum malte sie dann? Aber solche Überlegungen waren reiner Schwach-sinn. Was kümmerte es ihn, wenn sie die bedeutendste Malerin in ganz Italien gewesen wäre! Dennoch machte es ihn auf köstliche Weise wahnsinnig, sie sich mit einem Pinsel in der Hand vorzustellen.
    Pieros Gesicht schien plötzlich ganz verwundbar. Tonio sah ihn an, als würde er ihn erst jetzt bemerken. Langsam wurde ihm klar, was Pieros Worte bedeuteten. Diese Sache war für Giovanni entscheidend. Sie bestimmte vielleicht seinen weiteren Lebensweg, und Piero wandte sich auf der Suche nach einer Lösung an ihn, Tonio. Es verwirrte Tonio, aber es war nicht das erste Mal, daß die anderen zu ihm gekommen waren.
    »Tonio, wenn du mit ihm redest, dann macht er, was du sagst«, legte Piero dar. »Ich denke, er sollte nach Rom gehen, aber auf mich wird er nicht hören. Er wird nichts als Enttäu-schungen erleben, wenn er weiterhin versucht, Opernsänger zu werden.«
    Tonio nickte. »In Ordnung, Piero«, sagte er. »Ich rede mit ihm.«
    Der Tanz war zu Ende, das blonde Mädchen war verschwunden. Er konnte sie nirgendwo entdecken. Schließlich sah er sie, immer noch am Arm jenes älteren Herrn, auf den Ausgang zugehen. Sie geht, dachte er, und bedauerte das sehr. Natürlich war es nicht dasselbe violette Kleid, es war lediglich ein Kleid in derselben Farbe, und es hatte einen ganz weiten Rock, der durch Sträußchen kleiner Blumen gerafft wurde. Sie mußte diese Farbe lieben...
    Aber Giovanni, was sollte er Giovanni sagen? Er würde ihn dazu bringen, die Antwort selbst zu finden, dann würde er ihn auffordern, das zu tun, was er für richtig hielt.
    Er empfand es als ein wenig beunruhigend, daß man ihm solche Verantwortung übertragen hatte. Vor allem aber fühlte er sich all den Jungen, die sich jetzt oft an ihn wandten, als wäre er ihr Wortführer, in freundschaftlicher Weise verbunden. Es schien, als stünde er sehr vielen von ihnen nahe, nicht nur den Kastraten. Vor noch nicht allzulanger Zeit hatte der junge Mo-rello, der hier Komposition studierte, ihm eine Abschrift seines neuesten Stabat Mater gegeben, zusammen mit einer Notiz:
    »Vielleicht wirst du das eines Tages singen.« Guido hatte Tonio kürzlich zweimal den Unterricht der kleineren Jungen übernehmen lassen, und auch das hatte ihm sehr gefallen, da er sah, wie sehr sie zu ihm aufblickten.
    Es befand sich jetzt in einem leeren Salon und wußte, daß er sich eigentlich hinlegen sollte, so betrunken wie er

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