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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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klang es gequält und hungrig, und Tonio gab sich ihm hin.
    Guidos Küsse waren bedächtig und genußvoll. Die Leidenschaft schien in ganz klaren Wellen anzurollen, die Tonio em-portrugen, dann ganz leicht nachließen, um gleich darauf wieder anzuschwellen.
    Als es vorbei war und sie eng umschlungen dalagen, flüsterte Tonio Guido ins Ohr: »Zeige mir, wie ich das verstehen kann.
    Wie konntest du mir weh tun, ohne etwas dabei zu empfinden? Ich hätte dir um nichts in der Welt so weh getan, das schwöre ich dir.«
    Er glaubte Guido in der Dunkelheit lächeln zu sehen. Aber es war kein häßliches, sondern ein eher trauriges Lächeln. Sein Seufzen wirkte, als laste das Gewicht irgendeines alten Wissens auf ihm.
    Als er Tonio dann noch enger an sich zog, lag Verzweiflung in seiner Umarmung. Er hielt ihn so fest, als gäbe es da jemanden, der ihn ihm wegnehmen wollte.
    »Irgendwann, mein Schöner, wirst du es tun«, sagte er. »Aber bis dahin zeige dich mir weiterhin so freundlich und großzü-
    gig.«
    Tonio schloß die Augen. Er wollte widersprechen. Doch während er langsam in den Schlaf glitt, kam es ihm so vor, als würde ein riesiger Teil dieses Puzzles noch fehlen und als hätte er gerade eben erst gesehen, wie groß dieser Teil war.
    In ihm regten sich Ängste, Ängste, die er nicht in Worte fassen konnte. Aber er wußte, daß Guido ihn zumindest in diesem Augenblick liebte und daß er Guido liebte, und daß ihn, wenn er nach dem fehlenden Puzzlestück suchte und es fand, das Elend vielleicht wieder überwältigen würde.

    Als die wärmere Jahreszeit begann und all die unvermeidlichen Feste und Prozessionen wieder stattfanden, war klar, daß Guido sehr gefragt war.
    Jetzt schickte man ihm fortgeschrittene Kompositionsschüler, die Anfänger nahm man ihm weg. Mit Tonio als seinem Vor-zeigeschüler und Paolo, der jedermann überraschte, zog er mehr ausgezeichnete Sänger an, als er annehmen konnte.
    Man übertrug ihm fast die gesamte Leitung des Schultheaters, und obwohl er jedermann gnadenlos antrieb, fand ihn Tonio nur um so anziehender. In der eleganten Kleidung, die Tonio ihm gekauft hatte, wirkte er zudem überaus eindrucksvoll.
    Dennoch war Guidos Gesicht jetzt nicht mehr so hart und streng. Er war nun auch weniger oft wütend. Er hatte an natürlicher Autorität gewonnen, was bei Tonio bewirkte, daß Guido ihn nur flüchtig zu berühren brauchte und er ein solch heimliches Vergnügen verspürte, daß ihm die Knie weich wurden.
    Maestro Cavalla warnte Guido, Tonio nicht zu überfordern.
    Dennoch begann Guido erst auf der Bühne wirklich mit Tonio zu arbeiten. Im Rampenlicht konnte er Tonios Schwächen und Stärken besser erkennen. Er ließ Tonio gnadenlos üben und schrieb eine Vielzahl von Arien für ihn, und allmählich kristalli-sierte sich heraus, daß es die aria cantabile war - die Arie, in der Traurigkeit und Zartgefühl ausgedrückt wurden -, die Tonio besonders lag. Benedetto beherrschte viele Kunstgriffe. Er vollführte in den hohen Lagen regelrechte Stimmakrobatik, nur um dann mit verwirrender Leichtigkeit wieder in den Alt einzu-tauchen. Er brachte das Publikum dazu, den Atem anzuhalten, zum Weinen brachte er es nicht. Tonio aber schaffte es jedesmal, wenn er sang.

    In der Zwischenzeit hatte der Bourbonenkönig Karl III., der jetzt seit zwei Jahren über Neapel herrschte, beschlossen, sein Teatro San Carlo zu bauen. Innerhalb nur weniger Monate war der Bau vollendet, und das alte San Bartolommeo wurde abgerissen.
    Obwohl schon die Geschwindigkeit, mit der das Haus errichtet worden war, von jedermann für eine Sensation gehalten wurde, war es am Abend der Eröffnung die Innenausstattung, die bewunderndes und ehrfürchtiges Staunen hervorrief.
    Das San Bartolommeo war ein alter rechteckiger Bau gewesen. Das neue Opernhaus besaß Hufeisenform und verfügte über sechs Ränge. Das Wunderbare war jedoch nicht so sehr dessen eindrucksvolle Größe, sondern die verschwenderische Beleuchtung: Eine jede Loge war vorn mit einem Spiegel ausgestattet, der rechts und links mit einer Kerze bestückt war.
    Wenn die Kerzen angezündet waren, dann vervielfältigten die Spiegel die kleinen Flammen tausendfach in alle Richtungen.
    Es war ein unglaubliches Schauspiel, das nur noch übertroffen wurde von dem Talent der Primadonna Anna Peruzzi und ihrer Rivalin, der Altistin Vittoria Tesi, die dafür bekannt war, in Ho-senrollen zu brillieren. Die Oper, mit der das Haus eingeweiht wurde, war Achille en Sciro nach

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