Falsetto
Menschen dort gewesen waren, immer einsam gewirkt hatte.
Ihr Liebreiz jedoch war um so augenfälliger, ein leise klopfender Schmerz. Schließlich streckte er die Hand aus, um die Kerzenflamme zu löschen. Absichtlich ließ er sich dabei die Finger versengen. Zögernd erhob er sich dann zum Gehen.
Was hatte diese junge Frau im Grunde mit ihm zu tun? Was spielte es für eine Rolle, daß dieses Mädchen durch sein gro-
ßes Können, seine Kunstfertigkeit, sein künstlerisches Schaffen wie eine verlorene Elfe wirkte? Allerdings ahnte er, daß Unschuld allein keine derart interessanten Gemälde hervorzubringen vermochte, denn er sah darin nichts von der affektier-ten Süßlichkeit, die er mit Unschuld verband. Ihre Bilder waren ziemlich wuchtig. Und sie waren schön.
Aber noch einmal, was hatte das mit ihm zu tun, und warum schwitzte er? Warum waren seine Hände feucht?
Während er noch zögernd in der Tür stand, wünschte er sich, sie würde ihn in Ruhe lassen. Dann fiel ihm jedoch ein, daß er es ja war, der sie unentwegt anstarrte, und zwar so hartnäckig, daß sie ihm schließlich zugenickt hatte. Nun, warum zum Teufel hatte sie dann nicht irgend jemandem erzählt, wie schlecht er sich benahm? Er war wütend auf sie.
Als er dann aufblickte, sah er sie.
Sie saß im Rosengarten, und ihr langer Morgenrock glänzte weiß im Mondlicht.
Er war so erschrocken, daß er sich wie ein Idiot vorkam. Sie hatte ihn beobachtet! Sie hatte das Licht in ihrem kleinen Atelier gesehen. Gewiß konnte sie ihn jetzt ebenso deutlich sehen wie er sie.
Das Blut schoß ihm ins Gesicht. Da erhob sie sich zu seinem Erstaunen von der marmornen Bank und kam auf ihn zu, so langsam und so geräuschlos, daß sie mehr zu schweben als zu gehen schien. Er sah ihre nackten Füße schimmern, als sie über das Gras ging. Der Wind, der die hauchdünnen Schichten ihres Morgenrocks bewegte, ließ die Konturen ihres Körpers sichtbar werden, so als wäre dieses lockere Gewand eine gespenstische Ansammlung von Licht.
Er hatte das Gefühl, als müsse er ihr um ihretwillen einen kurzen Gruß zunicken und dann, so schnell er konnte, von hier verschwinden. Aber er rührte sich nicht. Er sah ihr nur zu. Da begann ihm die Zielstrebigkeit, mit der sie auf ihn zukam, auf einmal angst zu machen.
Sie kam immer näher, bis er ihr Gesicht schließlich ganz deutlich sehen konnte. Sie verströmte einen Duft, der wie der Geruch des Sommerregens war. Er konnte nicht mehr klar denken. Er sah jetzt weder ihre gerundeten Wangen noch ihren dunklen Schmollmund. Vielmehr sah er sie als Ganzes, sah das pulsierende Wesen, das unter dieser Hülle aus hauchdünnem Leinen und der Fülle goldenen, vernachlässigten Haares steckte: den Körper mit dessen unvermeindlicher Hitze und Feuchtigkeit und diesem Duft, der wie Regen war, der mit voller Macht auf Blumen prasselte, auf Pfade, auf tote Blätter.
Er begehrte sie mit quälender Heftigkeit. Es war, als würde sein ganzes Wesen nach ihr hungern, während er gleichzeitig wie gelähmt war. Er kam sich vor wie in einem Alptraum, in dem er weder schreien noch sich bewegen konnte. Es entsetzte ihn. Wie konnte sie so unvorsichtig, so leichtsinnig sein? Da war dieser große leere Garten, dahinter das schlafende Haus, und sie stand hier allein vor ihm. Hätte sie das bei jedem anderen Mann auch getan? Plötzlich stieg in ihm ein schrecklich gewalttätiger Gedanke auf. Es kam ihm so vor, als wäre sie irgendein gräßliches Ding und nicht das reizendste und zarteste Wesen, das er je gesehen hatte.
Er wollte ihr weh tun, sie fest packen und ihr die Wahrheit zeigen, sie sehen lassen, was er war! Er zitterte, er konnte hören, wie sein Atem ging.
Da veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Er hatte sich verdunkelt und zu einem schrecklichen kleinen Stirnrunzeln verzogen. Sie sah zu Boden und wich, so als drohe sie, aus großer Höhe abzustürzen, vor ihm zurück, dann drehte sie sich um.
Er war betroffen, als er sie zurückschaudern sah. Hilflos blickte er ihr nach, während sie sich entfernte. Das letzte, was er von ihr sah, kurz bevor sie in der Dunkelheit verschwand, war die üppige Masse schimmernden blonden Haares.
Als er wieder in sein Zimmer kam, lehnte er sich matt an die geschlossene Tür. Er preßte seine Stirn gegen das harte, lak-kierte Holz.
Er war unglücklich und beschämt, konnte nicht glauben, daß es hierzu gekommen war! Es war ihm so vorgekommen, als wären sie über die Jahre hinweg Partner in einem wundersa-men
Weitere Kostenlose Bücher