Falsetto
Tanz gewesen. Stets war da das bange Versprechen gewesen, daß sie einmal zusammenkommen würden.
Und jetzt war es lediglich hierzu gekommen!
Daß sie sich dargeboten hatte, stand außer Frage. Bitter und gedemütigt wußte er jetzt, was er war, und sie wußte es ebenfalls. Wenn es noch Gnade für ihn gab, dann würden Guido und die Contessa bald kommen, um ihm zu sagen, daß er nach Rom gehen würde, wo er sie niemals wiedersehen wür-de.
Er war, voll angekleidet und mit einer Decke über den Schultern, eingeschlafen, als Guido kam. Als er aufwachte, sah er Guido und die Contessa vor sich stehen. Die Contessa sagte:
»Setz dich auf, mein schönes Kind, du mußt mir etwas versprechen.«
Guido sah ihn nicht einmal an. Er ging im Zimmer umher, als würde er träumen, preßte dabei die Lippen aufeinander und entspannte sie wieder, als würde er einen stillen Monolog führen.
»Was ist los? Was ist passiert?« fragte Tonio schläfrig. Einen Augenblick lang hatte er sein blondes Mädchen vor Augen, dann war es verschwunden.
Er hatte das Gefühl, dieses Warten nicht länger ertragen zu können.
»Sagen Sie es mir«, bat er.
»Sicher. Zuerst aber, mein schönes Kind«, sagte sie in ihrer getragenen und höflichen Art, »mußt du mir versprechen, daß du, wenn du einmal berühmt bist, jedem erzählen wirst, daß es in meinem Haus in Neapel war, wo du zum ersten Mal gesungen hast.«
»Berühmt?« Er setzte sich auf, als die Contessa zu ihm rückte und ihm einen Kuß auf die Wange drückte.
»Mein schönes Kind«, sagte sie. »Ich habe gerade meinem Cousin, dem Kardinal Calvino in Rom, geschrieben. Er erwartet dich, und du kannst so lange bei ihm wohnen, wie du willst.
Guido möchte sofort aufbrechen. Er will das Publikum dort kennenlernen und gleich vor Ort arbeiten. Ich werde am Premierenabend natürlich dabeisein, um euch beide zu sehen.
Schönes Kind, es ist alles vorbereitet. Du wirst am Neujahrstag im Teatro Argentina in Rom dein Debüt als Hauptdar-steller in Guidos Oper geben.«
16
Bis zum Tag der Abreise blieben noch zwei Wochen.
Alles war gepackt. Tonios Zimmer waren bis auf das herrliche Cembalo, das er dem Maestro di Cappella als Geschenk daließ, leergeräumt. Die Kutschen, beladen mit Koffern, warteten im Hof.
Tonio stand allein an seinem Fenster und sah zum letzten Mal hinaus in den Garten.
Er hatte sich vor dem Augenblick, in dem er von Paolo Abschied nehmen mußte, gefürchtet, und es war genauso schlimm geworden, wie er es erwartet hatte. Paolo war schweigsam und bedrückt gewesen. Die Worte, die er gesagt hatte, hatten keine Substanz besessen. Daß Tonio und Guido ihn verließen, war mehr, als er ertragen konnte. Tonio wußte, daß er noch einmal mit Paolo reden mußte.
Tatsächlich formte sich in Tonios Kopf ein Plan, aber er hatte Angst, daß er nicht funktionieren würde. Seine Gedanken hatten sich gerade im Kreis zu drehen begonnen, als Maestro Cavalla das leere Zimmer betrat.
»Nun also ist der schmerzliche Augenblick gekommen«, seufzte der Maestro.
Tonios Blick war voller Zuneigung, aber er sagte nichts. Er sah zu, wie der Maestro mit den Fingern über den kunstvoll verzierten Korpus des Cembalos fuhr. Es freute Tonio sehr, daß der Maestro dieses Geschenk schätzte.
»Ist es dir durch den kleinen Streich, den wir dir bei der Contessa gespielt haben, leichter gefallen?« fragte der Maestro.
»Ich hatte gehofft, daß es so sein würde.«
Tonio lächelte nur. Leichter, ja, leichter war es gewesen.
Aber über sein Gesicht huschte ein schmerzliches Zucken, und er fragte sich, ob der Maestro es bemerkt hatte. Plötzlich war ihm unbehaglich zumute, denn ihm lag mehr auf der Seele als die Tatsache, daß er Lebewohl sagen mußte.
Er dachte flüchtig an seine alten Vorsätze, seinen Haß, jene dunklen Schwüre.
Aber das Leben war eine prachtvolle Falle, und alles, woran er jetzt noch denken konnte, war das Leben. Er wünschte sich verzweifelt, schon auf dem Weg nach Rom zu sein.
Guido war so aufgeregt, daß er beim Abschiednehmen kein Gefühl zeigte. Tag und Nacht hatte er Szenen für seine Oper geschrieben. Er summte ständig vor sich hin, und manchmal, wenn sie nicht gerade arbeiteten, blickten sie einander mit einer Mischung aus Angst und Heiterkeit an, wie sie niemand sonst mit ihnen teilte.
»Du wirst nicht versagen«, sagte der Maestro freundlich. »Ich würde dich nicht gehen lassen, wenn ich der Meinung wäre, daß das passieren könnte.«
Tonio nickte. Sein Blick
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