Falsetto
Guido, Paolo und Tonio saßen in der ersten, während hinter ihnen die Diener und eine Unmenge von Koffern kamen.
Als sie die Via di Toledo in Richtung Meer hinunterfuhren und noch einen letzten Blick auf die Stadt selbst werfen konnten, vermochte Tonio nicht, die Augen von dem bläulichen Kamel-rücken des Vesuvs abzuwenden, der seine blasse Rauchfahne in den Himmel schickte.
Die Kutsche schaukelte auf den Molo hinauf. Die schimmernde See schien mit dem Horizont zu verschmelzen. Als sie dann nach Norden abbogen, war der Berg nicht mehr zu sehen.
Stunden später war es Tonio und Tonio allein, der weinte, während sich die Nacht über die endlosen und wunderschö-
nen Weizenfelder der Campania senkte und die Kutsche langsam auf Rom zurollte.
FÜNFTER TEIL
1
Sobald sie in Rom angekommen waren, bat Kardinal Calvino sie zu sich. Weder Tonio noch Guido hatten erwartet, daß der Kardinal sich ihnen gegenüber sofort als so entgegenkom-mend erweisen würde. Paolo im Schlepptau, folgten sie dem schwarzgekleideten Sekretär des Kardinals die Treppe hinauf.
Nichts von dem, was Guido in Venedig oder Neapel gesehen hatte, hätte ihn auf diesen ungeheuren Palazzo vorbereiten können. Er befand sich im Stadtzentrum von Rom, den Vatikan konnte man zu Fuß in zwanzig Minuten erreichen; wenn man in die andere Richtung ging, war es etwa ebenso weit zur Piazzadi Spagna. Seine ockerfarbenen Mauern bargen Korridore, die von antiken Skulpturen gesäumt wurden. An den Wänden hingen flämische Tapisserien, die Innenhöfe waren mit griechischen und römischen Fragmenten bevölkert. Aber auch riesige moderne Statuen bewachten Torwege, Brunnen und Teiche.
Zahllose Adelige liefen umher, Kleriker in Soutanen kamen und gingen. Durch eine offene Flügeltür war eine lange Bibliothek zu sehen, in der sich schwarzgekleidete Sekretäre über ihre Federkiele beugten.
Die größte Überraschung war jedoch, wie sich herausstellte, der Kardinal selbst. Es hieß von ihm, er sei tief religiös, da er aus der Priesterschaft stammte, was für einen Kardinal nicht unbedingt üblich war, und daß er beim Volk, das sich stets am Straßenrand drängte, um seine Kutsche vorbeifahren zu sehen, außerordentlich beliebt war.
Besonders lagen ihm die Armen Roms am Herzen. Er war Schirmherr zahlreicher Waisenhäuser und Wohltätigkeitsein-richtungen, die er regelmäßig besuchte. Manchmal ließ er auch sein Gefolge warten, um zu Fuß, mit im Schmutz schlei-fender karminroter Robe, die bescheidenen Behausungen der Arbeiter aufzusuchen. Dort trank er Wein mit ihnen und ihren Frauen, küßte die Kinder. Von seinem Reichtum gab er täglich jenen, die Not litten.
Er war jetzt fast fünfzig Jahre alt. Guido hatte erwartet, daß der Kardinal einen frommen Gegensatz zu all der Pracht ringsum bilden und sehr streng wirken würde.
Aber der Kardinal strahlte gute Laune aus.
Er zwinkerte fröhlich. In seinen Augen lag eine Vitalität, die einer allumfassenden Güte und Liebe zu entspringen schien.
Er war ein Mann von magerer Statur und aschfarbenem Haar.
Er besaß die glattesten Augenlider, die Guido je gesehen hatte. Da war keine Einbuchtung, keine Falte. Die wenigen Linien, die sich in seinem Gesicht befanden, wirkten, als wären sie mit Bedacht gezogen. Sein Aussehen erinnerte dadurch an die geschnitzten Figuren in ganz alten Kirchen, die dem Betrachter ausgemergelt und verzerrt erscheinen und oft auch grimmig wirken.
Er hatte jedoch nichts Grimmiges an sich.
Von prächtig gekleideten Adeligen umgeben, die ihm auf seinen Befehl hin beflissen Platz machten, winkte er Guido zu sich herein. Nachdem er sich von ihm seinen Ring hatte küssen lassen, umarmte er ihn und verkündete, daß die Musiker seiner Cousine in seinem Haus wohnen könnten, so lange sie wollten.
Sein Körper war voller Bewegung, seine Augen sprühten vor Fröhlichkeit.
»Brauchen Sie irgendwelche Instrumente?« erkundigte er sich. »Ich lasse Sie ihnen gerne schicken. Sie brauchen es nur meinem Sekretär zu sagen, dann wird er Ihnen beschaffen, was Sie haben möchten.«
Er nahm Paolos Gesicht in beide Hände und strich ihm mit den Daumen behutsam über die Wange.
»Und wo ist Ihr Sänger?« fragte er dann.
Als er Tonio jetzt anblickte, schien er ihn zum ersten Mal richtig wahrzunehmen.
Der Kardinal stand einen Augenblick vollkommen versunken da, eine Veränderung ging in ihm vor, die Guido beinahe körperlich fühlen konnte. Es schien, als müßten die Umstehenden es ebenfalls
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