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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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durchdringen.
    »Ich bin nicht melancholisch«, erwiderte Guido. Aber ihm war klar, daß er nicht so leicht davonkommen würde. Tonio setzte sich nahe genug zu ihm, daß er gerade noch Guidos Hand berühren konnte. Wieder beobachtete Guido Tonio, so wie er es eben getan hatte.
    Sein Gesicht, so schien es, war ein wenig größer geworden.
    Außerdem war da wie stets jenes hintergründige Geheimnis, das die Anordnung der Augen betraf. Selbst jetzt, als er Tonio ansah, spürte Guido eine leise Verwirrung. Es war die Magie des Messers, dachte er müde. In dem, was es befreit, nicht darin, was es wegschneidet, liegt dieser unerreichbare verführerische Reiz. Er brauchte nicht zu wissen, daß er ihn besitzt, noch darf er versuchen, ihn bewußt einzusetzen. Er ist da.
    Und da er außerdem die würdevolle Art der Venezianer an sich hat, reicht das aus, um einem den Verstand zu rauben.
    »Guido«, hörte er Tonios Stimme wie aus weiter Ferne. »Paolo wird ein hervorragender Sänger werden. Ich weiß es. Ich werde ihn selbst unterrichten.«
    Plötzlich haßte Guido ihn. Er wünschte, er würde aus dem Zimmer gehen. Er sah ihn an, brachte aber kein Wort heraus.
    Er erinnerte sich an einen Augenblick vor vielen Jahren, als er nach seinem ersten Liebesakt auf dem Boden eines Übungszimmers gelegen und sich ganz elend gefühlt hatte. Der Maestro, den er damals so begehrt hatte, hatte sich zu ihm heruntergebeugt und ihm etwas ins Ohr geflüstert. Was war es nur gewesen?
    »Um Paolo mache ich mir keine Sorgen«, sagte er jetzt, ver-
    ärgert über dieses Mißverständnis. »Paolo ist ein guter Sänger«, sagte er schlicht. Paolo hatte einen Platz in seinem Herzen. Er wünschte, Tonio würde ihn in Ruhe lassen.
    »Ich bin von der Reise müde«, sagte er knapp. »Es liegt noch sehr viel Arbeit vor mir, und ich habe keine Zeit zu verlieren.«
    Tonio beugte sich zu ihm hinüber. Leise flüsterte er ihm etwas Aufreizendes ins Ohr. Guido war sich bewußt, daß sie in diesen Zimmern allein waren. Tonio hatte die Diener fortgeschickt.
    »Hab Geduld mit mir«, sagte er ärgerlich. Er konnte sehen, daß Tonio verletzt war, dennoch aber nickte er nur kurz. Es war immer so bei ihm, diese verdammte venezianische Freundlichkeit. Als er Guido jetzt ansah, lag keinerlei Tadel in seinem Blick. Mit einem matten Lächeln erhob er sich zum Gehen.
    Innerlich erschüttert, sah Guido ihm zu, wie er durch das Zimmer ging. Er malte sich aus, wie es sein würde, wenn Tonio auf der Bühne stand, wenn sich die Menschen vor der Garderobentür drängten. Wieder sah er das Gesicht des Kardinals Calvino vor sich, diese Unschuld, diese bemerkenswert lebendigen Augen.
    Du hast keine Vorstellung davon, wie man dich vergöttern und umschmeicheln wird, du kannst dir das nicht annähernd vorstellen. Natürlich werden sie auch den Komponisten loben.
    Wenn die Oper gut ist, dann wird man vielleicht sogar meinen Namen auf die Handzettel setzen, vielleicht aber auch nicht.
    Für dich wird Rom wie ein Ei aufplatzen und sich immer wieder neu erschaffen. Das ist es, was ich mir für dich wünsche.
    Warum also fühle ich mich dann so merkwürdig?
    Tonio war irgendwo im anderen Zimmer. Guido konnte seine Nähe spüren. Plötzlich stellte er sich vor, wie er Tonio schlug, er sah, wie dieses vollkommene Gesicht von roten Striemen entstellt wurde. Bevor es ihm noch richtig zu Bewußtsein gekommen war, war er schon von seinem Schreibtisch aufgestanden und rasch ins Schlafzimmer hinübergegangen. Er hielt inne, als er Tonio am Fenster stehen und in den Hof hin-unterblicken sah.
    »Du weißt, wie das römische Publikum ist«, sagte Guido. »Du weißt, was ich vor mir habe. Sei geduldig mit mir.«
    »Das bin ich«, sagte Tonio.
    »Du mußt alles tun, worum ich dich bitte! Das mußt du mir gewähren.«
    Er war streitlustig. Alles, was ihn an Tonio ärgerte und irritierte, wollte hervorbrechen. Aber er wußte, daß jetzt nicht der rechte Zeitpunkt dafür war. Es blieb noch viel Zeit...
    »Ich werde alles tun, worum du mich bittest«, sagte Tonio mit seiner klangvollen, gemessenen Stimme.
    »O ja, alles, außer in Frauenkleidern aufzutreten, obwohl du weißt, daß das unumgänglich ist. Ausgerechnet in Rom, und natürlich wirst du alles tun, außer dieser einen Sache, die absolut lebenswichtig ist!«
    »Guido«, unterbrach Tonio ihn. Zum ersten Mal wirkte er ärgerlich und ungeduldig. Die Verwandlung in diesem engels-gleichen Gesicht erstaunte Guido immer wieder. »Das kann ich nicht tun.

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