Falsetto
bemerken. Dann trat Tonio vor, um den Ring des Kardinals zu küssen.
Tonio war von der Reise in der Kutsche nur ein wenig zerzaust, sein dunkelgrüner Samtrock war kaum staubig. Guido erschien er wie ein Engel im Gewand eines Sterblichen. Seine wachsende Körpergröße hatte ihn nie linkisch gemacht, und die letzten beiden Jahre Fechtausbildung hatten bewirkt, daß er sich jetzt fast wie ein Tänzer bewegte. All seine Gesten waren beinahe hypnotisierend, obwohl sich Guido nicht sicher war, warum. Vielleicht lag es daran, daß sie so langsam waren. Selbst wenn Tonio die Lider hob und senkte, geschah das sehr langsam.
Der Mund des Kardinals war schlaff. Er beobachtete Tonio überrascht, als würde von diesem irgend etwas Verblüffendes und Ungewöhnliches ausgehen, dann starrte er ihn ausdruckslos an. Seine hellgrauen Augen wurden ein klein wenig dunkler.
Guido spürte, wie es ihm unter seiner Kleidung unangenehm warm wurde. Er hatte das Gefühl, als würde ihm die Hitze in diesem stickigen Zimmer den Atem nehmen. Als er jedoch Tonios Gesichtsausdruck sah, als er sah, wie aufmerksam er den Kardinal betrachtete, als er dann ringsum eine Stille spür-te, die bodenlos schien, da packte ihn plötzlich die Angst. Aber selbstverständlich bildete er sich da nur etwas ein, ganz ge-wiß.
Wem würde ein junger Mann von solch bemerkenswerter Schönheit nicht auffallen, und wer würde einen Mann wie Seine Eminenz nicht mit großer Ehrfurcht ansehen?
Doch Guidos Angst legte sich nur langsam. In ihr hallten all die bedrückenden Gedanken wider, die er auf der Reise nach Rom gehabt hatte, denn er hatte sich über eine Vielzahl praktischer Details, die mit der kommenden Oper zu tun hatten, Sorgen gemacht. Höchst unerwartet hatte er außerdem ständig daran denken müssen, wie er vor Jahren seine Stimme verloren hatte.
»Ich habe nie großen Gefallen an der Oper gefunden«, meinte der Kardinal gerade freundlich zu Tonio. »Ich fürchte, ich weiß von dieser Welt insgesamt sehr wenig, aber ich empfinde es in der Tat als sehr angenehm, einen Sänger um mich zu haben, der nach dem Abendessen für uns singt.«
Tonio versteifte sich. Guido konnte erkennen, daß Tonio sich ein wenig in seinem Stolz verletzt fühlte, was vorherzusehen gewesen war. Tonio tat jetzt das, was er stets tat, wenn er als gewöhnlicher Musiker behandelt wurde: Er blickte eine Weile zu Boden, dann hob er langsam wieder den Blick, bevor er mit subtilem Nachdruck sagte: »Ja, Euer Gnaden?«
Der Kardinal hatte gemerkt, daß etwas nicht stimmte. Es war seltsam anzusehen, aber er nahm abermals Tonios Hand und sagte: »Du wirst doch so freundlich sein, für mich zu singen, nicht wahr?«
»Ich fühle mich geehrt, Euer Gnaden«, sagte Tonio huldvoll.
Da redete ein Prinz mit einem Prinzen.
Der Kardinal gab ein ansteckend unschuldiges Lachen von sich, wandte sich daraufhin seinem Sekretär zu und sagte fast wie ein Kind: »Auf diese Weise haben meine Feinde zur Abwechslung einmal etwas, worüber sie reden können.«
Man brachte sie unverzüglich in einer Reihe großer Zimmer mit Blick auf einen Innenhof unter, in dem sich ein Garten befand. Das Gras dort war geschnitten, und die Bäume warfen vereinzelte Schatten auf den Boden. Sie packten ihre Sachen aus, sie wanderten umher. Paolo wurde ganz aufgeregt, als er das Bett mit den braunroten Vorhängen und dem geschnitzten Kopfteil sah, in dem er schlafen sollte. Guido sah ein, daß er und Tonio selbstverständlich separate Zimmer nehmen muß-
ten und Paolo zuliebe getrennt schlafen würden.
Als es später Nachmittag geworden war, hatte Guido seine Partituren vorbereitet und die Empfehlungsschreiben, die die Contessa ihm mitgegeben hatte, noch einmal durchgelesen.
Er würde sofort damit beginnen, jede Conversazione, jedes Konzert, jede inoffizielle Akademie, die ihm offenstand, zu besuchen. Er mußte mit den Leuten über die Opern reden, die hier in den letzten Jahren reüssiert hatten, und er mußte sich möglichst viele hiesige Sänger anhören. Die Sekretäre des Kardinals hatten bereits die Partituren und Libretti herbeige-schafft, die er brauchte. Heute abend würde er sein erstes kleines Konzert im Hause eines Engländers geben.
Warum also war er dann nicht voll freudiger Erregung, als er sah, wie das Cembalo hereingebracht wurde und die Diener des Kardinals seine Bücher so ordentlich in die Regale stellten?
Tonio, der von Rom ganz gefesselt war, unterhielt sich mit Paolo über alles, was sie auf dem Weg
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