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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Es hat keinen Sinn, weiter darüber zu debattie-ren.«
    Guido schnaubte leise, verächtlich. Jetzt hatte er, was er wollte, Streit, und zwar richtig. Tonios Gesicht verfärbte sich, sein Blick wurde kalt. Warum tat Guido das nur? An ihrem ersten Tag in Rom, wo er doch noch Zeit hatte, viel Zeit, um Tonio in die verschiedenen Theater mitzunehmen, damit er die Kastraten in Frauenkostümen sehen und ihre große Macht und Anziehungskraft begreifen konnte.
    Tonio drehte sich abrupt um und ging ins offene Ankleidezimmer, um den Morgenmantel auszuziehen. Er würde sich jetzt anziehen und ausgehen. Dann waren diese Zimmer leer, und Guido würde allein sein.
    Ein Gefühl der Verzweiflung überkam Guido.
    »Komm her!« befahl er kalt. Er ging zum Bett. »Nein, verriegle zuerst die Tür«, sagte er, »und dann komm.«
    Tonio starrte ihn einen Augenblick nur an.
    Er preßte ganz leicht die Lippen aufeinander, dann tat er mit jenem kurzen, geduldigen Kopfnicken, das so bezeichnend für ihn war, was von ihm verlangt wurde. Er blieb neben dem hohen Bett stehen und wartete, die Hand auf der Bettdecke, während er Guido gelassen in die Augen sah. Guido hatte seine Hose geöffnet und spürte, wie seine Leidenschaft all seine anderen Gefühle mitriß und sie zu einer einzigen Kraft vereinte.
    »Zieh den Morgenmantel aus«, sagte er schroff. »Und leg dich hin. Auf den Bauch.«
    Tonios Augen waren tatsächlich ein wenig schöner, als Augen das sein sollten. Abermals tat er, wie ihm geheißen wurde, wobei ihm sein Mißfallen über all das kaum anzusehen war.
    Guido bestieg ihn grob, Tonios Nacktheit, die er durch seine Kleidung hindurch unter sich spürte, machte ihn fast wahnsinnig. Mit dem Handballen drückte er Tonios Gesicht in die Kissen und nahm ihn dann mit rücksichtslosen Stößen.
    Dann lag er lange Zeit still neben Tonio, bevor sich dieser zum Gehen erhob.
    Ohne zu klagen, zog Tonio sich an. Als er seine juwelenbesetzten Ringe angesteckt und seinen Gehstock genommen hatte, trat er ruhig zu Guido ans Bett. Er beugte sich über ihn, um ihn zuerst auf die Stirn und dann auf den Mund zu küssen.
    »Warum erträgst du mich?« flüsterte Guido.
    »Warum sollte ich dich nicht ertragen?« flüsterte Tonio zurück.
    »Ich liebe dich, Guido«, sagte er. »Und wir haben beide ein wenig Angst.«

    2

    Diese Straße, die Sterne am Himmel, die Zimmerdecke, seine Zähne, die sich in Fleisch gruben, und dann das Messer, der Schnitt und dieses ungeheure Brüllen, das sein eigener Schrei war...
    Dann erwachte er, die Hand auf dem Mund, und merkte, daß er in Wirklichkeit keinen Laut von sich gegeben hatte.
    Er befand sich im Hause des Kardinals Calvino, er befand sich in Rom.
    Es war wirklich nichts, nur dieser alte Traum und die Gesichter jener Bravos, die er manchmal auf der Straße zu sehen geglaubt hatte. Natürlich hatte er sie niemals wirklich gesehen.
    Es war einfach eine Wunschvorstellung von ihm, einen von ihnen zu entdekken, ihn zu überrumpeln: »Du erinnerst dich doch an Marc Antonio Treschi, den Jungen, den du nach Flovigo gebracht hast?« und dann das Stilett, das sich zwischen die Rippen bohrte.
    Bevor Tonio seine bloßen Füße auf den köstlich kühlen Marmorboden gesetzt hatte, machte er sich noch einmal bewußt, daß er sich im Palazzo des Kardinals mitten in Rom befand.
    Der Traum war jetzt wie ein schlechter Geschmack in seinem Mund oder wie ein leichter Kopfschmerz. Bald würde er ganz verschwunden sein.
    Und die Stadt wartete auf ihn. Zum ersten Mal in seinem Leben war er wirklich frei. Vor Jahren hatte er die Zwänge, die seine Hauslehrer in Venedig auf ihn ausübten, gegen die Obhut Guidos und die Vorschriften des Conservatorio einge-tauscht, und er konnte sich noch nicht ganz an die Tatsache gewöhnen, daß das jetzt vorbei war.
    Aber Guido hatte es deutlich gemacht. Solange Paolo seine Hauslehrer hatte und Tonio sich am Vormittag seinen Gesangsübungen widmete, hatte Tonio niemandem Rechen-schaft abzulegen. Guido hatte das allerdings niemals gesagt.
    Es war einfach so. Guido selbst pflegte am Nachmittag, wenn andere noch ihr Nickerchen machten, zu verschwinden und kam dann oft nicht vor Mitternacht zurück. Dann erkundigte er sich stets von Mann zu Mann: »Und wo bist du heute gewesen?«
    Tonio mußte lächeln. Von dem Traum war nun nichts mehr da, er war jetzt hellwach. Es war noch sehr früh am Morgen.
    Wenn er sich beeilte, dann konnte er die Frühmesse hören, die Kardinal Calvino las.

    Kardinal Calvino hielt in

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