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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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eingestellt und war lediglich noch bei bestimmten Anlässen in der Villa der Contessa zu sehen.
    Tonio hingegen schickte Paolo aus, damit er ihm erzählen konnte, was man so redete.
    Paolo, der froh war, seinen Hauslehrern entwischen zu können, besuchte Signora Bianchi, die an Tonios Kostümen arbeitete, dann lungerte er bei den Männern herum, die die Bühnenmaschinerie bedienten. In den vollen Kaffeehäusern streifte er umher, so lange er konnte, während er so tat, als würde er jemanden suchen.
    Als er schließlich zurückkehrte, hatte er ein zornrotes Gesicht und war den Tränen nahe.
    Tonio sah ihn nicht hereinkommen, denn er war gerade in einen Brief von Catrina Lisani versunken, in dem sie ihm mitteilte, daß sich bereits viele Venezianer auf den Weg in die Ewige Stadt gemacht hatten, einzig und allein, um ihn auf der Bühne zu sehen. »Die Neugierigen werden kommen«, schrieb sie,
    »und jene, die dich in liebevoller Erinnerung haben.«
    Das versetzte ihm einen leichten, aber überaus unangenehmen Schock. Er lebte jetzt in ständiger Angst vor der Premiere. Manchmal war dieses Entsetzen köstlich und erheiternd.
    Zu anderen Zeiten war es die reine Qual. Und jetzt zu erfahren, daß seine Landsleute eigens kamen, um Zeuge seines Auftritts zu werden, als handle es sich um ein Karnevalsspek-takel, ließ ihn frösteln, obwohl er am warmen Kamin saß.
    Aber es überraschte ihn auch. Eigentlich hatte er geglaubt, so sicher aus der Welt Venedigs entfernt worden zu sein, als hät-te ihn eine unsichtbare Riesenhand einfach hochgenommen und die Menge hätte sich daraufhin gleichgültig wieder geschlossen, um die leere Stelle auszufüllen, die er hinterlassen hatte. Zu hören, daß die Leute dort über die Oper sprachen, sehr viel darüber sprachen, weckte in ihm ein merkwürdiges Gefühl, das er nicht definieren konnte.
    Natürlich sprachen sie davon, weil Catrinas Ehemann, der alte Senator Lisani, noch einmal versucht hatte, das Urteil der Verbannung gegen Tonio aufheben zu lassen. Die Regierung hatte ihren früheren Beschluß jedoch bestätigt: Tonio durfte unter Androhung der Todesstrafe den Veneto nie mehr betreten.
    Es war jedoch der letzte Teil von Catrinas Brief, der ihm in der Seele weh tat.
    Seine Mutter hatte darum gebeten, nach Rom kommen zu dürfen. Von dem Augenblick an, von dem sie von seinem Engagement am Teatro Argentina gehört hatte, hatte sie darum gebeten, diese Reise allein unternehmen zu dürfen. Carlo hatte ihr das jedoch entschieden verboten, und jetzt war Marianna krank und konnte das Haus nicht verlassen.
    »An der Sache mit der Krankheit ist etwas Wahres dran«, schrieb Catrina, »aber ich glaube, du weißt, daß diese Krankheit ihre Seele betrifft. Trotz all der Schwächen, die Dein Bruder hat, ist er ihr gegenüber bislang sehr aufmerksam gewesen. Dies ist jetzt der erste wirkliche Riß zwischen den Eheleuten.«
    Er legte den Brief beiseite.
    Paolo wartete auf ihn, und Tonio wußte, daß der Junge ihn jetzt brauchte, denn er wirkte sehr verstört.
    »Tonio, du weißt ja nicht, was die Leute sagen. Sie behaupten, Bettichino sei der größte Sänger in Europa. Sie sagen, es sei empörend, daß du mit ihm auf derselben Bühne auftreten sollst.«
    »Paolo, die Leute reden immer solches Zeug«, tröstete Tonio ihn sanft. Er zog ein Taschentuch hervor und trocknete Paolo die Tränen.
    »Aber Tonio, sie sagen, daß du ein Niemand bist, der aus dem Nichts gekommen ist, und daß es gelogen wäre, wenn du be-hauptest, ein adeliger Venezianer zu sein. Sie sagen, man hätte dich allein wegen deines Aussehens engagiert. Als Farinelli angefangen hat, haben sie ihn il ragazzo - den Knaben -
    genannt. Und jetzt sagen sie, du solltest la ragazzina - das Mädchen -, heißen. Und wenn das Mädchen nicht singen kann, sagen sie, dann werden sie ihm eine Mitgift beschaffen, damit man es in einem ordentlichen Kloster unterbringen kann und niemand mehr seine Stimme zu hören braucht.«
    Tonio mußte unwillkürlich lachen.
    »Paolo, das ist doch Unsinn«, sagte er.
    »Aber Tonio, du hättest sie hören sollen.«
    »Das alles bedeutet nur«, sagte Tonio und strich Paolo dabei das Haar aus den Augen, »daß das Theater am Premierenabend gesteckt voll sein wird.«
    »Nein, nein, Tonio, sie werden dir gar nicht zuhören. Das ist es, wovor Signora Bianchi Angst hat. Sie werden brüllen und schreien und mit den Füßen stampfen. Sie werden dir keine Chance geben.«
    »Nun, das werden wir schon zu verhindern wissen«,

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