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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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weiße Hand darauf, spreizte dabei seine Finger und spürte, wie hart die Brust des Mannes war.
    Im Halbdunkel konnte er seine Augen schimmern sehen, sah den Umriß seines Unterkiefers. Ganz vorsichtig berührte er nun auch das Gesicht des Mannes, spürte die rauhen Bartstoppeln, die das Rasiermesser stehengelassen hatte, und die straffe Haut darunter.
    Er zog seine Hand zurück, neigte dann den Kopf zur Seite und drehte sich weg, eine Geste, die Zurückweisung und Aufforderung zugleich war. Als er sich, die Hände auf den Sitz unter sich gestützt, nach vorn beugte, spürte er das Gewicht des Mannes an seinem Rücken. Er legte sich hin, streckte sich, während er die Augen wie im Schlaf geschlossen hielt, auf dem Lederpolster aus, bis er es mit dem Gesicht berührte.
    Der Mann schob seinen linken Arm unter Tonios Körper, hob ihn hoch, um ihn für den Angriff besser festhalten zu können.
    Das Gefühl dieses kräftig bemuskelten Armes an seiner Brust schickte ebenso Schockwellen durch seinen Körper wie das Eisen selbst, das in ihn eindrang.
    Einen Augenblick lang wäre der Schmerz fast zu stark geworden, dann aber verwandelte er sich in Lust, bis sie schließlich beide von derselben lodernden Flamme verzehrt wurden. Aber dieser Mann hielt ihn immer noch fest, wollte ihn nicht loslas-sen. Voller Zorn tastete Tonio mit seiner rechten Hand nach seinem Stilett. Ein leichter Stupser ließ ihn jedoch wissen, daß dieser junge Römer nur das Feuer für den zweiten Angriff schürte.
    Es war vorbei. Als Tonio dem jungen Mann Geld anbot, hatte sich dieser kühl aufgerichtet, hatte die Tür geöffnet und war auf die Straße hinausgesprungen. Aber gerade als die Kutsche wieder anfuhr, hatte er sich mit beiden Händen am Fenster festgehalten und den Namen jenes Heiligen geflüstert, nach dem die Straße, in der er wohnte, benannt war. Tonio hatte ihn angelächelt und genickt und das außergewöhnlichste Lächeln zur Antwort erhalten.
    Dann waren da nur noch diese düsteren Mauern, schmutzig und moosbewachsen, die sich rechts und links erhoben.
    Langsam verschwanden sie hinter einen Regenschleier.
    Tonios Augen umflorten sich. Er starrte teilnahmslos aus dem Fenster, während sich die Kutsche dem Vatikan näherte. Da kam wie aus einem Alptraum, den er selbst im Wachzustand nicht ganz verbannen konnte, das Schild eines kleinen Ladens in Sicht, auf dem aller Welt verkündet wurde: HIER WERDEN SÄNGER
    FÜR DIE PÄPSTLICHE KAPELLE
    KASTRIERT

    9

    Als es Dezember wurde, redete man in ganz Rom von der neuen Oper.
    Die Contessa sollte jeden Tag eintreffen, und der große Kardinal Calvino hatte sich für die Spielzeit zum ersten Mal in seinem Leben eine Loge genommen. Eine große Zahl Adeliger stand fest hinter Guido und Tonio, aber die abbati hatten schon zu reden begonnen.
    Jedermann wußte, daß es die abbati waren, die am Abend der Uraufführung das entscheidende Urteil sprechen würden.
    Sie waren es, die Plagiate mit lautem Zischen verurteilten, sie waren es, die die Ungeübten und Unwürdigen von der Bühne jagten.
    Die einflußreichen Familien, die den ersten und den zweiten Rang beherrschten, konnten, auch wenn sie sich noch so sehr bemühten, keine Vorstellung retten, wenn die abbati sie erst einmal verurteilt hatten, und diese verliehen ihrer leidenschaftlichen Verehrung Bettichinos bereits Ausdruck. Bettichino war der größte Sänger dieser Spielzeit, Bettichino war jetzt noch besser als in den vergangenen Jahren, Bettichino hatte letztes Jahr in Bologna ganz wunderbar gesungen, Bettichino wurde überall gefeiert.
    Wenn sie Tonio überhaupt einmal erwähnten, dann nur, um über diesen Emporkömmling aus Venedig, der erklärte, ein Patrizier zu sein, und darauf bestand, unter seinem eigenen Namen aufzutreten, zu spotten. Aber diese Geschichte glaubte ja ohnehin keiner! Jeder Kastrat behauptete, wenn er erst einmal im Rampenlicht stand, aus einer guten Familie zu kommen, und führte irgendeine dumme Erklärung an, weshalb die Operation durchgeführt hatte werden müssen.
    Allerdings war Bettichinos Geschichte im Grunde ebenfalls widersinnig. Es hieß, er wäre der Sohn einer deutschen Adligen und eines italienischen Kaufmannes, und seine Stimme wäre in der Kindheit dank des unglückseligen Angriffs seiner Lieb-lingsgans bewahrt worden.

    Guido, der Tag und Nacht vor seinen Notenblättern saß, erreichten nur Bruchstücke dieses Geredes. Er hatte, da die Premiere immer näher rückte, seine Besuche bei den Amateu-ren ganz

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