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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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hinübergehen und Christina beim Malen zusehen.«
    »Oh, das mußt du auch tun«, sagte sie sichtlich erfreut. »Du mußt immer kommen. Und Sie müssen ebenfalls kommen, Signore Treschi.«
    »Meine Liebe«, sagte Guido, »ich möchte dich nicht drängen, aber wenn die Dienstmädchen noch einquartiert und die Koffer hochgeschafft werden sollen, dann sollten wir jetzt gehen, sonst stolpern wir nachher im Dunkeln herum.«
    »Ja, du hast recht«, sagte sie. »Aber Sie kommen doch morgen, Signore Treschi?«
    Tonio schwieg einen Augenblick. Dann hörte er, wie er ein leises Geräusch von sich gab, das wie ein »Ja«, klang, um gleich darauf zu stammeln: »Ich kann nicht. Ich kann nicht. Ich meine, Signora, ich danke Ihnen, aber ich muß üben. Bis zur Premiere dauert es keinen Monat mehr.«
    »Ich verstehe«, sagte sie freundlich. Dann entschuldigte sie sich und warf ihm, über ihre Schulter hinweg, noch einmal jenes strahlende Lächeln zu und verließ den Raum.
    Tonio steuerte sofort auf die Tür zu und hatte den Gartenweg schon erreicht, als Guido ihn am Arm packen konnte.
    »Ich würde sagen, daß du sehr grob warst, wenn ich nicht den Grund dafür erkennen könnte«, sagte Guido ernst.

    »Und was ist der Grund?« stieß Tonio zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    Guido schien kurz davor zu stehen, ärgerlich zu werden. Dann aber preßte er die Lippen aufeinander und kniff die Augen zusammen, so als wolle er gleich lächeln.
    »Willst du damit sagen, daß du dich selbst nicht kennst?«

    10

    Die nächsten drei Tage übte Tonio vom frühen Morgen bis spät in die Nacht. Zweimal wollte er schon fast den Palazzo verlassen, entschied sich dann aber plötzlich doch anders.
    Guido hatte die Arbeit an seinen Arien abgeschlossen. Tonio mußte nun seine Verzierungen sorgfältig ausgestalten und sich darauf vorbereiten, die Arien auf unzählige Arten zu variieren. Keine Zugabe durfte wie die vorangegangene klingen, und er mußte darauf reagieren können, falls sich bei ihm selbst oder bei seinen Zuhörern die Stimmung änderte. Also blieb er daheim, nahm sogar seine Mahlzeiten am Cembalo ein, und arbeitete, bis er todmüde ins Bett fiel.
    Wenn er sang, dann versammelten sich die Diener jetzt vor seiner Zimmertür. Oft rührte er Paolo zu Tränen. Selbst Guido, der ihn am Nachmittag für gewöhnlich allein ließ, um Christina Grimaldi in ihrem neuen Atelier zu besuchen, blieb noch da, um ein paar Takte mehr zu hören.
    »Wenn ich dich singen höre, wenn ich mich in Gegenwart deiner Stimme befinde« - Guido seufzte -, »dann fürchte ich weder Tod noch Teufel.«
    Tonio war für diesen Kommentar keineswegs dankbar. Es erinnerte ihn daran, daß Guido wirklich Angst hatte.
    Einmal brach Tonio mitten in einer Arie ab und fing zu lachen an.
    »Was ist los?« wollte Paolo wissen.
    Tonio konnte nur den Kopf schütteln. »Alle werden sie dasein«, flüsterte er. Er schloß einen Moment lang die Augen, dann schüttete er sich aus vor Lachen.
    »Sprich nicht davon, Tonio«, sagte Paolo verzweifelt und biß sich auf die Lippe. Sein Blick bettelte Tonio förmlich um Trost, dann traten ihm Tränen in die Augen.
    »Wenn es schiefgeht«, sagte Tonio, nach Luft ringend, »dann wird es fast wie eine öffentliche Hinrichtung sein.« Er brach in stummes Gelächter aus. »Tut mir leid, Paolo, ich kann nichts dafür«, sagte er. Er versuchte, ernst zu sein, aber es gelang ihm nicht. »Alle, absolut alle werden dasein.«
    Er legte die Arme auf die Tasten und wurde von unhörbaren Lachkrämpfen geschüttelt. Jetzt begriff er endlich, was ein Debüt bedeutete: Es war eine großartige Einladung, in aller Öffentlichkeit den schrecklichsten Fehlschlag seiner gesamten Existenz zu riskieren.
    Er hörte erst zu lachen auf, als er wieder in Paolos entsetztes Gesicht blickte. »Na, komm schon«, sagte er sanft und öffnete die Partitur für ein Duett, »schenk mir einfach keine Beachtung.«

    Am vierten Tag jedoch, bei Einbruch der Dämmerung, klang schließlich alles nur noch wie Lärm in seinen Ohren. Er konnte nicht mehr arbeiten. Und er begriff, worin der Vorzug dieser Übungen bestand: Er hatte nicht nachzudenken brauchen, er hatte sich an nichts zu erinnern brauchen, er hatte weder überlegen, planen noch sich irgendwelche Gedanken machen müssen.
    Als der Kardinal, den er seit mehr als vierzehn Tagen nicht mehr aufgesucht hatte, nach ihm schickte, erhob er sich mit einem leisen, ärgerlichen Laut vom Cembalo. Niemand hörte ihn. Nino legte

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