Falsetto
bereits seine Kleidung heraus. Für den Kardinal war es roter Samt, eine golddurchwirkte Weste. Cremefarbene Hosen und hohe, geschwungene weiße Pantoffeln, die auf seinem Rist eine böse Druckstelle hinterließen. Später würde der Kardinal diese Stelle liebevoll berühren.
Es erschien ihm jetzt ganz und gar unmöglich, daß er Seiner Eminenz Vergnügen würde bereiten können. Aber er war schon müder und zerstreuter zu ihm gegangen als jetzt und hatte es geschafft.
Erst als er sich der Tür des Kardinals näherte, merkte er, daß es noch viel zu früh für ein diskretes Beisammensein war. Das Haus war voller geschäftiger Kleriker und untätiger Adeliger.
Dennoch war er ins Schlafzimmer bestellt worden.
Als er das Zimmer betrat, wußte er, daß etwas nicht stimmte.
Der Kardinal hatte sein Zeremoniengewand angelegt, das silberne Kruzifix schimmerte auf seiner Brust. Er saß an seinem Schreibtisch, auf dem zwei große Kerzen standen, seine gefalteten Hände ruhten auf einem aufgeschlagenen Buch.
In seinem Gesicht strahlte ein außergewöhnliches Licht; ein Ausdruck unschuldigen Überschwanges, den Tonio seit Monaten nicht mehr gesehen hatte, lag darin.
»Setz dich, mein Schöner«, sagte er. Er schickte seine Diener aus dem Zimmer.
Als die Tür sich geschlossen hatte, schien Stille sie zu umgeben wie Wasser, das eine Küste umspült.
Zögernd blickte Tonio auf. Er sah, daß die Augen des Kardinals von unendlicher Geduld und unendlichem Staunen erfüllt waren. Tonio war alarmiert. Ein dumpfes Gefühl der Endgültigkeit überkam ihn langsam, noch bevor der Kardinal zu sprechen anfing.
»Komm her zu mir«, flüsterte der Kardinal, als würde er ein Kind zu sich bitten. Tonio war weit, weit weg in ein Gebiet geglitten, in dem es nicht einmal Gedanken gab. Er ging langsam auf den Kardinal zu, der sich von seinem Stuhl erhoben hatte.
Sie standen sich jetzt von Angesicht zu Angesicht gegenüber, da küßte ihn der Kardinal auf beide Wangen.
»Tonio«, sagte er freundlich und vertraulich, »in meinem Leben gibt es nur eine einzige Leidenschaft, und das ist die Liebe zu Christus.«
Tonio lächelte. »Ich bin erleichtert, Euer Gnaden, daß Sie nicht länger gespalten sind«, sagte er.
Die Augen des Kardinals erschienen im Kerzenlicht haselnuß-
braun. Als er Tonio jetzt musterte, wurden sie schmal, dann antwortete er: »Du meinst das ehrlich, nicht wahr?«
»Ich liebe Sie, Euer Gnaden«, sagte Tonio. »Wie könnte ich da nicht Ihr Bestes wünschen?«
Der Kardinal wägte dies weit sorgfältiger ab, als Tonio das erwartet hatte, wandte sich einen Augenblick ab und bedeutete Tonio dann mit einer Handbewegung, sich hinzusetzen.
Tonio sah zu, wie der Kardinal selbst wieder an seinem Schreibtisch Platz nahm, blieb aber, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, stehen.
Das Zimmer erschien von grauem, fast aschfarbenem Licht er-füllt. Die Gegenstände darin kamen Tonio fremd und unwichtig vor, er wünschte sich lediglich, daß die Kerzen ein helleres Licht geben und nicht nur der Düsternis eine trübe Form verleihen würden. Er richtete den Blick auf das hohe, geteilte Fenster. Die ersten Sterne schimmerten schon am Abend-himmel.
Der Kardinal seufzte. Er schien einen Augenblick in Gedanken verloren, dann sagte er: »Heute morgen habe ich zum ersten Mal seit Monaten meine Messe im Zustand der Gnade ab-gehalten.« Er sah zu Tonio auf, und auf seinem Gesicht zeigte sich ein sorgenvoller Ausdruck. Freundlich und voller Achtung fragte er: »Und was ist mit dir, Marc Antonio, in welchem Zustand befindet sich deine Seele?«
Es war nicht mehr als ein Flüstern gewesen, und es lag keine Verurteilung darin.
Tonio jedoch wünschte sich jetzt alles andere als dieses Gespräch. Ihm war klar, daß dieses Kapitel seines Lebens nun zu Ende war, und er wußte nicht, ob er weinen würde oder nicht, wenn er diese Räume verließ. Vielleicht wollte er es ja herausfinden. Jetzt noch hierzubleiben, bedeutete, sich merkwürdig verwundbar zu fühlen.
»Das, was ich für dich empfunden habe, war schlecht, Marc Antonio.« Der Kardinal rang mit sich. »Es war ein lasterhaftes Verhalten, das schon Männer zerstört hat, die weit stärker waren als ich. Aber so sehr ich es auch versuche ...« Er stockte.
»Sosehr ich es auch versuche, ich kann in dir kein Anzeichen des Schlechten finden, ich kann die Bosheit und den Verfall, der einer solch vorsätzlichen Sünde zwangsläufig folgen muß, nicht entdecken.« Er flehte Tonio an:
Weitere Kostenlose Bücher