Falsetto
gefragt.
Bologna, Mailand, selbst Venedig wurden genannt.
Venedig! Tonio hatte sich sofort entschuldigt.
Aber sie begeisterten ihn, diese Gespräche, ebenso wie es ihn begeisterte, immer und immer wieder königlichen Gästen vorgestellt zu werden.
Schließlich waren er und Guido allein. Die Tür war verschlossen. Sie liebten einander und waren angesichts der Heftigkeit ihres Verlangens ein wenig erstaunt.
Guido schlief danach ein, Tonio jedoch lag noch lange wach, so als könne er sich von diesem Abend nicht trennen.
Schließlich ergoß sich die Wintersonne in staubigen Strahlen auf den gefliesten Boden. Tonio schritt in diesen großartigen Räumen auf und ab und starrte hier und da auf den Stapel von Geschenken und Briefen, der sich auf einem runden Marmor-tisch erhob und so hoch wie er selbst war.
Er stellte das Weinglas weg und ließ sich starken Kaffee bringen.
Nachdem er einen Stuhl herbeigeholt hatte, begann er durch all diese steifen und verzierten Pergamente zu stöbern. Er redete sich ein, daß er nichts Besonderes suchte. Er tat nur, was zu tun war. In Wirklichkeit aber suchte er nach etwas Be-stimmtem.
Oh, überall waren venezianische Namen. Eine leidenschafts-lose und stille Person in seinem Inneren las die Grüße seiner Cousine Catrina und stellte fest, daß diese ihr Wort gebrochen und doch nach Rom gekommen war. Nun, er würde sie nicht empfangen. Er war jetzt viel zu glücklich, um das zu tun. Auch die Familie Lemmo und weitere Angehörige der Familie Lisani hatten sich im Publikum befunden, außerdem ein Dutzend anderer, die er kaum kannte.
Nun also hatte ihn die Welt in dieser weiblichen Aufmachung gesehen und gehört, wie er Töne von sich gegeben hatte, die Kindern und Göttern gehörten. Altbekannte Alpträume, altbekannte Demütigungen, es war so wunderbar wie in seinen wildesten Träumen gewesen.
Er nahm einen großen Schluck vom heißen und aromatischen Kaffee, las dann eine Handvoll kleiner Notizen, die voll über-schwenglichen Lobes waren. Beim Lesen durchlebte er noch einmal einige Augenblicke der Vorstellung.
Unter den Briefen befanden sich die verschiedensten Einladungen. Zwei kamen von russischen Adeligen, eine von einem Bayern, eine weitere von einem mächtigen Herzog. In mehreren Briefen wurde er zu einem späten Abendessen nach der Vorstellung eingeladen, und diese interessierten ihn am meisten.
Er wußte, was man dort von ihm erwartete, und empfand es als verlockend, so als würde ihn eine Gruppe von Straßenmu-sikanten mit ihren klopfenden, die Wände durchdringenden Rhythmen zu sich rufen.
Er dachte an Raffaele di Stefano und überlegte, wie lange es wohl dauern würde, wenn er sich jetzt anzog und zu ihm fuhr.
Raffaele würde schlafen, es würde warm im Zimmer sein.
Jetzt endlich wurde er ein wenig müde. Er lehnte sich mit verschränkten Armen zurück und schloß die Augen.
Von Christina war nichts dabei. Warum auch?
Warum auch?
Dennoch erhob er sich wieder, um noch einmal nachzusehen.
Als er all jene Briefe fächerförmig ausbreitete, die noch unge-
öffnet waren, sah er eine Handschrift, die er kannte.
Er wußte jedoch nicht mehr, wem sie gehörte. Als er den Brief dann öffnete, standen da folgende Zeilen: Mein Tonio,
was Dir zugestoßen ist, hätte einen geringeren Menschen zerstört. Du jedoch hast es in einen Sieg verwandelt. Dies ist etwas, das nur wenige zu erreichen vermögen. Heute abend hast Du die Engel aufhorchen lassen. Möge Gott stets mit Dir sein,
Alessandro
Darunter war, fast wie ein nachträglicher Einfall, noch die Adresse seiner Unterkunft in Rom hingekritzelt.
Es war nur eine Stunde vergangen, als Tonio, voll angezogen, den Palazzo verließ. Die Luft war erfrischend und rein, deshalb ging er die wenigen engen Straßen, die den Palazzo von jenem Haus trennten, das Alessandro in seinem Brief genannt hatte, zu Fuß.
Als sich die Tür von Alessandros Zimmer öffnete und Tonio den Blick zu jenem vertrauten Gesicht erhob, war er erschüttert wie selten in seinem Leben. Noch nie hatte er sich so klein gefühlt wie jetzt, da er in diesem leeren Flur stand, obwohl er schon vor langer Zeit Alessandros Körpergröße erreicht hatte.
Dann spürte er, wie Alessandro ihn in seine Arme zog. Zum ersten Mal, seit er Neapel verlassen hatte, hätte er fast geweint.
Er stand ganz still da, während ihm Tränen in den Augen brannten, und es kam ihm so vor, als würde eine stumme Wo-ge des Schmerzes über ihm zusammenschlagen. In diesem Zimmer
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