Falsetto
versuchten.
»Mein Lieber, mein Lieber«, sagte Signora Bianchi. »Die Tür bricht gleich aus den Angeln, Sie müssen aufmachen!«
»Nein, bringen Sie mich zuerst hier raus.« Er trat nach vorn, riß den Schild aus Pappe ab, der an seinem Arm befestigt war, und warf das hölzerne Schwert weg.
Dann aber hielt er inne, entsetzt von der schrecklichen Gestalt im Spiegel. Da waren das geschminkte Gesicht einer Frau, karminrote Lippen, schwarz umrandete Augen und das griechische Gewand mit den goldenen Brustplatten, der Rüstung eines überirdischen Kriegers.
Er nahm die gepuderte Perücke ab. Dennoch wirkte dieser Achilles mit seiner schweißgetränkten Tunika, das Gesicht so weiß, daß es eine Karnevalsmaske hätte sein können, nicht weniger scheußlich als das Mädchen Pirra, das er dargestellt hatte, als der Vorhang sich zum ersten Mal gehoben hatte.
»Tun Sie das weg, alles«, sagte er, während er unbeholfen mit den Händen herumfuhrwerkte und Signora Bianchi sich be-mühte, ihm zu helfen.
Er zog seine normale Kleidung an, schrubbte an seinen Augen und seinem Gesicht.
Schließlich stand da ein erschöpfter junger Mann mit leicht geröteter Haut und einem glänzenden Haarschopf, der ihm bis auf die Schultern herabfiel. Er hatte sich der Tür zugewandt und war bereit, die ersten Glückwünsche und Umarmungen entgegenzunehmen.
Männer und Frauen, die er nicht kannte, die Musiker vom Orchester, Francesco, der Violinist aus dem Conservatorio, eine junge Hure mit herrlichem roten Haar - sie alle schlossen ihn in die Arme, drückten ihm feuchte Küsse auf die Wangen.
Diener mit Geschenken in den Händen drängten herein und warteten, sie ihm überreichen zu können. Da waren Briefe für ihn, und jeder Kurier wollte, daß er sie jetzt gleich las und beantwortete, Blumen wurden hereingebracht, und Ruggerio, der Impresario, drückte ihn so fest an seine Brust, daß er ihn fast von den Füßen riß. Signora Bianchi schluchzte.
Irgendwie war er in den riesigen, weiten Raum vor seiner Tür gedrängt worden, ein großer hängender Prospekt knarrte, als er dagegenfiel. Plötzlich hörte er in all dem Lärm Paolos Stimme: »Tonio, Tonio!« Er schlug um sich, bis er schließlich Paolo sah und dessen ausgestreckten Arm packen konnte. Er zog den Jungen an sich und hob ihn hoch. Ein hochgewachsener Gentleman ergriff seine rechte Hand und legte eine kleine, juwelenbesetzte Schnupftabakdose hinein. Es war Tonio in dem Gedränge unmöglich, sich zu verbeugen, seine geflüsterten Dankesworte gingen in die falsche Richtung. Eine junge Frau hatte ihn plötzlich auf den Mund geküßt, und in pani-schem Schrecken fiel er fast nach hintenüber. Kaum hatten Paolos Füße wieder den Boden berührt, lief er schon Gefahr, niedergetrampelt zu werden.
Tonio merkte, wie Ruggerio ihn in seine Garderobe zurück-schob, wo man ein halbes Dutzend mit Seide bezogene Polsterstühle aufgestellt hatte. Die Frisiertische quollen von duftenden Blumen über.
Er ließ sich auf einen Stuhl fallen. Eine weitere Frau war, begleitet von livrierten Herrn, in die Garderobe getreten. In den Händen hatte sie einen großen Strauß weicher, weißer Blumen, den sie ihm jetzt ins Gesicht drückte. Er lachte laut heraus, als er die kühlen, weichen Blüten spürte. Ihre blauen Augen strahlten, während sie ihn stumm anlächelte. Er nickte ihr seinen Dank zu.
Und dann war da Guido. Guido, der in die Garderobe geschlüpft war und ihn jetzt mit einem höchst bemerkenswerten Gesichtsausdruck anstarrte. Tonio mußte an jenen Augenblick im Hause der Contessa Lamberti zurückdenken, als er zum ersten Mal gesungen hatte. Da waren derselbe überquellende Stolz und dieselbe überquellende Liebe. Er stand auf, schloß Guido in die Arme und hielt ihn lange Zeit schweigend fest, bis es im Zimmer um ihn herum still geworden und außer Guido und ihm niemand mehr da war. So jedenfalls kam es ihm vor.
Irgendwo weit weg brachte Ruggerio höfliche Entschuldigungen vor. Eine Stimme erwiderte: »Aber meine Herrin wartet auf eine Antwort.« Signora Bianchi stellte entsetzt fest, daß Paolo an der rechten Hand blutete. »Gütiger Himmel, du bist ja von einem Hund gebissen worden!« Nichts davon drang jedoch bis zu Tonio durch. Guidos Herz schlug an Tonios Herzen, dann führte ihn Guido ganz sanft zu seinem Stuhl zurück und sagte, während er ihn an den Armen hielt:
»Wir müssen jetzt gehen und dem großen Sänger unsere Aufwartung machen...«
»O nein, nicht durch diese
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