Falsetto
sie erklärte, als Modelle dienen sollten, und Tonio half dem Kutscher, diese sorgfältig in altes Bettzeug einzuwickeln und sicher in der Kutsche zu verstauen. Sie kaufte Porträts, die rissig und nachgedunkelt waren, auf denen aber immer noch eine Vielzahl lebendiger Details zu sehen war.
Mit ihr zusammenzusein, hatte etwas Ungezwungenes an sich. Ihre Selbstbeherrschung erregte ihn, und ihm war gar nicht bewußt, wie sehr ihm das Lebensgefühl, das sie vermittelte und das so aus dem vollen schöpfte, gefiel. Er hörte ihr zu, wie sie von ihren Schätzen sprach, wie sie davon redete, daß sie lernen mußte, Hände und Füße noch besser zu malen, daß sie Blumen und Draperien studieren mußte, daß sie lernen mußte, warum dies gut und jenes schlecht war.
Er hatte das wunderbare Gefühl, sie schon seit langem zu kennen. Dennoch war alles an ihr neu für ihn, so daß ihn eine jede Geste, ein jedes Schütteln ihres blonden Haares insgeheim erstaunte.
Die Kutsche verließ Rom in Richtung Süden und fuhr durch das offene Land. Überall waren Ruinen aus dem Altertum zu sehen, hier verlor sich ein großes Aquädukt zwischen Weinre-ben, dort stand eine Säule noch aufrecht, um auf irgendein verfallenes antikes Heiligtum hinzuweisen. Christina sprach leise über die Schönheit Italiens und erzählte, daß dies die Landschaft ihrer Träume war. Ihr Mann, der stets freundlich zu ihr gewesen war, hatte sie überallhin mitgenommen, damit sie nach Herzenslust skizzieren und malen konnte.
Eine Zeitlang wußte Tonio noch, wo sie waren, da dies die Gegend war, in der auch die Villa der Contessa stand. Als sie dann jedoch weiter nach Süden und aufs Meer zufuhren, hatte er die Orientierung verloren. Schließlich holperten sie eine lange Allee entlang, gesäumt von kahlen Pappeln, die ihre spitzen Astkronen in den blauen Himmel reckten.
Vor ihnen lag ein Haus. Es war ein breiter, rechteckiger Bau, dessen Fassade verwittert und von tiefen Rissen durchzogen war. Die Ockerfarbe, mit der die Fassade einst gestrichen war, war weich und bröckelig geworden, so daß sie hier und dort an der Mauer flatterte wie Blüten an einem Weinstock. Dennoch strahlte das Haus im Sonnenlicht, blinde Fenster gähnten dunkel, als sie sich näherten. Christina ergriff Tonios Hand und führte ihn durch die offene Eingangstür.
Blätter wehten über den dunklen Steinboden. Im Schatten raschelte es, als kleine Hühner eilig ins Licht hinaushuschten.
Das Blöken von Schafen schallte hohl und gespenstisch unter den hohen Decken. Hier und da türmten sich Strohballen an bemalten Wänden, Wasserspuren zogen sich durch Wandgemälde, eindringender Regen hatte die alten Möbel verdorben.
»Was ist das für ein Haus?« fragte er. Sie war vor ihm herge-gangen. Ihre Größe verlieh ihr etwas Erhabenes, während sie, die Röcke gerafft und mit wallendem Haar, dahinschritt.
Er blieb stehen. Fast zitternd blickte er dieses Bild der Zerstö-
rung an, und der Anblick trug ihn in die Vergangenheit zurück, zurück zu einem sonnenhellen Augenblick in Venedig, als er in leeren Zimmern wie diesem gestanden hatte, sein Tambourin in der Hand. Musik erhob sich, rhythmisch und wild, aber sie verklang wieder, als er die Augen schloß und die warme Sonne auf seinen Lidern spürte.
Er spürte um sich herum einen Lufthauch. Er empfand keinen Schmerz, kein Bedauern. Als er die Augen wieder öffnete, sah er, daß Sonnenstrahlen durch die Fenster fielen. In der Ferne erhoben sich sanfte Hügel. Dieses Haus war wie ein großes Gerippe, das Regengüssen und Stürmen ausgesetzt war und vom Geruch grüner Vegetation erfüllt war.
Sie winkte ihm von der Treppe aus zu.
»Wenn ich will«, sagte sie, als er zu ihr ging und sie die Hand auf seinen Arm gelegt hatte, »dann ist es mein Haus. Gibst du ihm deinen Segen?« Sie sah ihn mit dem unschuldigsten Blick an und wirkte plötzlich ganz verwundbar. »Ich kann in ganz Europa arbeiten, ich kann überall Porträts anfertigen und vielleicht sogar die großen Kirchengemälde malen, von denen ich träume. Dann aber kann ich zurückkehren, hierher, in dieses Haus, mein Zuhause.«
Er folgte ihr die Treppe hinauf in einen riesigen Salon, von dem aus man über das weite Land blicken konnte. Das Gras wuchs so hoch wie Weizen und erstreckte sich bis weit hinter das graue Gitterwerk der Pappeln. Die tief hängenden Wolken waren golden getönt.
Sie stand ganz still vor ihm, ihr Gesicht war rund und klein, ihre Wangen sahen so weich aus, daß
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