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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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einem Kloster unter, wo er sie dann auf dem Rückweg nach Neapel wieder abholen wollte. Es waren zwar keine Wunderkinder, aber sie waren besser als alles, was er bislang gehört hatte. Außerdem fürchtete er sich davor, mit leeren Händen zurückkehren zu müssen.
    In Bologna besuchte er die Cafés, traf sich mit berühmten Theateragenten. Er verbrachte viele Stunden mit Sängern, die sich dort versammelt hatten, um ein Engagement für eine Spielzeit zu ergattern, und hoffte dabei, von jenem zerlumpten Jungen mit der großen Stimme zu erfahren, der vielleicht von der Bühne träumte, der vielleicht gerne in den berühmten Conservatorios von Neapel studieren wollte.
    Seine Suche blieb jedoch erfolglos.
    Als der Frühling kam, als die Luft wärmer und linder wurde und die Pappeln wieder große grüne Blätter trugen, machte Guido sich auf den Weg nach Norden, auf zum tiefsten Geheimnis ganz Italiens: der großen und altehrwürdigen Republik Venedig.

    20

    Andrea Treschi starb während der schlimmsten Augusthitze.
    Signore Lemmo setzte sich unverzüglich mit Tonio in Verbindung und informierte ihn darüber, daß nun Catrina und ihr Ehemann seine Vormunde seien. Carlo Treschi, den sein Vater nach Hause zurückgerufen hatte, sobald er seinen Tod nahen spürte, war bereits von Konstantinopel aus in See gestochen.

    ZWEITER TEIL

    1

    Das Haus war erfüllt vom Tod, und es war voller Fremder. Alte Männer in schwarzen und scharlachroten Gewändern, die ständig miteinander flüsterten, gingen umher.
    Dann drang aus den Gemächern seines Vaters dieses schreckliche Geräusch, dieses unmenschliche Brüllen. Er hör-te, wie es begann, er hörte, wie es lauter wurde.
    Und als dann die Türen aufgestoßen wurden, trat sein Bruder Carlo in den Korridor hinaus und begegnete seinem Blick mit einem ganz blassen, ganz schwachen Lächeln. Es war das Lächeln eines Verlierers, hinter dem sich Empörung verbarg.

    Er hatte zugesehen, wie sein Bruder den Canal Grande her-aufgefahren war. Er hatte ihn im Bug des Bootes stehen sehen. Sein Umhang hatte in der feuchten Brise leise geflattert.
    Da war dieses schwarze Haar, selbst die Kopfform war ihm vertraut. Er hatte zugesehen, wie Carlo den Kai betrat, während er selbst oben an der Treppe gestanden und auf ihn gewartet hatte.
    Carlo war auf ihn zugekommen, hatte seine Hände in einer Willkommensgeste erhoben und Tonio dann in die Arme geschlossen. Er hatte ihn so fest an sich gepreßt, daß Tonio das Seufzen, das sich Carlos Brust entrang, schon spüren konnte, bevor er es hörte.
    Was hatte Tonio erwartet? Groll, Bitterkeit? Brennende Wut, die zu Gerissenheit geworden war? Es war ein so offener Gesichtsausdruck, in dem sich nichts als Freundlichkeit und Wärme zu spiegeln schienen. Und diese Hände hatten seinen Kopf so beherzt gestreichelt, diese Lippen hatten sich auf seine Stirn gedrückt. In der
    Berührung hatte etwas Liebevolles, Besitzergreifendes gelegen, und Tonio hatte, während sie, einander umarmend, da-gestanden hatten, insgeheim einen Moment lang eine herrliche Erleichterung verspürt.
    »Du bist da«, flüsterte er.

    Und sein Bruder hatte nur ganz sanft seinen Namen gesagt:
    »Tonio.«

    Und dann hatte dieses Brüllen begonnen, dieses entsetzliche Brüllen, das lauter und immer lauter geworden war, dieses zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorgestoßene Knurren, diese Faust, die wieder und wieder auf den Tisch seines Vaters herabgesaust war.
    »Carlo!« flüsterte Catrina. Mit raschelndem Seidenkleid, den Trauerschleier zurückgeworfen, erhob sie sich, als sich die Türen öffneten, um ihn freizugeben. Ihr Gesicht war voller Traurigkeit.
    Leise Geräusche, Flüstern. Catrina ging hinter ihm den Korridor entlang. Signore Lemmo hastete auf geräuschlosen Soh-len hin und her. Und Marianna starrte in ihrem Trauerkleid vor sich hin.
    Hier und da sah Tonio das Schimmern der Rosenkranzperlen, die durch ihre Hände glitten, das Schimmern ihrer Augen, wenn sie einmal einen Moment aufsah.
    Sie hatte nicht einmal den Kopf gehoben, als Carlo das Zimmer betrat. Er wiederum hatte von ihr nur aus dem Augenwinkel heraus Notiz genommen.
    Als er sich dann aber vor ihr verbeugte, verbeugte er sich bis zum Boden. »Signora Treschi«, sagte er. Er sah genauso aus wie auf den Gemälden, lediglich seine Hautfarbe schien durch die brennende Sonne der Levante etwas dunkler geworden zu sein. Auf seinen Handrücken wuchsen schwarze Haare, und ein unbestimmtes orientalisches Parfüm,

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