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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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geht mir gut«, antwortete Andrea. Er war ein wenig grob, als er Tonios Hände von seinen Schultern schob und wieder ans offene Fenster trat.
    Weit unten fuhren Gondeln, klein wie Nußschalen, auf dem grünen Wasser dahin. Ein Galaboot bewegte sich langsam auf die Lagune zu. Auf dem Deck spielte fröhlich ein winziges Orchester, die Reling war mit Rosen und Lilien umwunden. Kleine Gestalten tauchten unter einem weißen Baldachin aus Seide auf und verschwanden wieder. Es schien, als würde von dort unten leises Lachen zu ihnen hinaufklingen.
    »Manchmal glaube ich, daß es als Geschmacklosigkeit gilt, in Venedig alt zu werden und zu sterben!« sagte Andrea. »Ja, Geschmack, Geschmack, so als wäre alles im Leben nichts als eine Frage des Geschmacks«, tobte er. Seine Stimme war dabei ganz trocken, klang fast wie ein Rasseln in seiner Kehle.
    »Du große Hure!« sagte er tonlos, während er hinaus auf jene silbernen Kuppeln starrte.
    »Papa«, flüsterte Tonio.
    Die Hand, die ihn berührte, wirkte wie eine Klaue. »Mein Sohn, es bleibt dir keine Zeit, in Muße erwachsen zu werden. Ich habe dir das schon einmal gesagt. Jetzt denk an meine Worte.
    Du mußt dich entschließen, jetzt ein Mann zu sein. Dann fügt sich alles von selbst, hast du mich verstanden?«
    Andrea sah Tonio an, der Blick seiner hellen Augen, der eben noch scharf gewesen war, trübte sich wieder. »Ich hätte dir ein Königreich zum Geschenk gemacht, fremde Meere, die ganze Welt. Jetzt aber kann ich dir nur dieses geben: Wenn du einmal den Entschluß gefaßt hast, ein Mann zu sein, dann bist du auch einer. Alles andere wird sich von selbst fügen. Denk daran.«

    Zwei Stunden vergingen, bevor sich Tonio überreden ließ, zur Brenta aufzubrechen. Alessandro ging zweimal zu Tonios Vater ins Zimmer, und jedesmal kam er wieder, um ihnen zu ver-sichern, daß Andreas Anordnung immer noch uneingeschränkt galt.
    Sie sollten zur Villa Lisani aufbrechen. Andrea wollte, daß sie sich unverzüglich auf den Weg machten.
    Schließlich ordnete Signore Lemmo an, daß man alle Sachen in die Gondeln bringen sollte, und nahm Tonio beiseite.
    »Er hat Schmerzen, Tonio«, sagte er. »Er möchte nicht, daß du oder deine Mutter ihn so sehen. Jetzt hör mir mal zu. Du darfst ihn nicht wissen lassen, daß du dir Sorgen machst. Ich werde dich holen lassen, wenn irgendeine Veränderung bei ihm eintreten sollte.«
    Tonio kämpfte mit den Tränen, als sie den kleinen Kai über-querten.
    »Trockne dir die Augen«, flüsterte Alessandro, während er ihm ins Boot half. »Dein Vater steht oben auf dem Balkon, um uns Lebewohl zu sagen.«
    Tonio blickte nach oben. Dort stand eine geisterhafte Gestalt, von beiden Seiten gestützt. Andrea hatte sein scharlachrotes Gewand angelegt. Seine weiße Haarmähne war gezähmt, das Lächeln auf seinem Gesicht eingefroren, so als wäre er aus Marmor.
    »Ich werde ihn nicht wiedersehen«, flüsterte Tonio.
    Gott sei Dank fuhr das kleine Boot rasch dahin, wand sich der Kanal in Serpentinen. Als er sich schließlich in der felze zu-rücklehnte, weinte er still, aber hemmungslos in sich hinein.
    Alessandro hielt die ganze Zeit seine Hand.

    Und als er aufsah, merkte er, daß Marianna mit sehnsüchtigem Blick aus dem Fenster starrte.
    »Die Brenta.« Sie sang das Wort fast. »Ich habe das Festland nicht mehr gesehen, seit ich ein kleines Mädchen war.«

    19

    Im Königreich von Neapel und Sizilien fand Guido keinen Schüler, der die Heimreise wert gewesen wäre. Hier und da wurde ihm ein vielversprechender Junge vorgestellt, aber er brachte es nicht über sich, den Eltern »die Operation« zu empfehlen.
    Und unter jenen Jungen, die bereits verschnitten waren, hörte er nicht einen, bei dem es sich gelohnt hätte, ihn zu fördern.
    Also setzte er seine rastlose Suche fort, suchte im Kirchen-staat, sogar in Rom selbst, dann fuhr er weiter nach Norden, in die Toskana.
    Die Nächte verbrachte er in lauten Gasthäusern, die Tage in gemieteten Kutschen, gelegentlich speiste er mit dem Gefolge irgendeiner Adelsfamilie. Seine wenigen Habseligkeiten trug er in einem schäbigen Lederkoffer bei sich, den Dolch, den er unter seinem Rock versteckt hatte, hielt er fest umklammert, um sich gegen Wegelagerer, die überall lauerten, verteidigen zu können.
    Er suchte die Kirchen der kleinen Städte auf. Er hörte sich in den Dörfern und den Städten Opern an.
    Als er Florenz verließ, brachte er zwei Jungen, die über ein gewisses Maß an Begabung verfügten, in

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