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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Sein Blick huschte jetzt hin und wieder ein wenig über die Decke, während Guido mit ihm redete.
    Guido ließ sich Zeit. Im Wirtshaus war alles ruhig. Ab und zu erschienen hinter den schwankenden Schatten der Pappeln strahlend und winzig ein paar Sterne. Mit leiser, gemessener Stimme beschrieb Guido den Mann, der ihn in Venedig angesprochen hatte, und die Leute, die ihn schon fast gewaltsam nach Flovigo gebracht hatten. Dann berichtete er von den Schriftstücken, die Tonios Unterschrift trugen.
    Ohne Umschweife erklärte er ihm genau, wie er in diese Sache verwickelt worden war und wie diese Männer das ausge-nutzt hatten, um ihn zu zwingen, Tonio aus dem Veneto fortzuschaffen. Zum Schluß erzählte er Tonio von der Kutsche, die ihm gehörte, und der Geldbörse, und sagte, daß er Tonio, wenn dieser das wünsche, zum Conservatorio San Angelo bringen würde.
    Tonio hätte die Wahl, erklärte er. Dann aber hielt er inne und gestand schließlich fast murmelnd, daß der Bravo angekündigt habe, Tonio würde keine weitere finanzielle Unterstützung erhalten, wenn er nicht ins Conservatorio ginge und dort auch bliebe.
    »Nichtsdestotrotz kannst du frei entscheiden, ob du mit mir kommen willst oder nicht«, sagte Guido.
    Daraufhin drehte der Junge den Kopf beiseite und schloß die Augen. Die Geste war eine so beredte Bitte um Schweigen, daß Guido danach nichts mehr sagte.
    Er blieb mit verschränkten Armen an der Wand stehen, bis er hörte, daß der Atem des Jungen gleichmäßig wurde.

    Aller Wahnsinn war nun aus seinem weißen Gesicht verschwunden. Der Mund war nun wieder der Mund eines Jungen.
    Guido rückte näher heran. Lange Zeit betrachtete er die langen, schlanken Glieder des Jungen, die im Schlaf entspannt dalagen, und die eine Hand, die halb geschlossen oben auf der Decke ruhte.
    Die Stirn war jetzt warm. Der Junge rührte sich nicht einmal, als er sie anfaßte. Guido schlüpfte aus der Tür und ging auf das offene Feld hinaus, das vor dem Fenster lag.

    Der Mond war wolkenverhangen. Von dort, wo Guido stand, waren die Lichter der Stadt nicht zu sehen.
    Guido, der durch das feuchte Gras ging, fand bald eine trok-kene Stelle, wo er sich hinlegen konnte, um die wenigen Sterne, die hier und da zu sehen waren, zu betrachten.
    Eine schreckliche Verzweiflung stieg in ihm auf.
    Sie kam wie die Kälte des Winters. Er erkannte sie an dem Frösteln, das sie stets begleitete, und dem merkwürdigen Geschmack in seinem Mund, der fast wie Übelkeit war, so als wäre er krank.
    Nur daß er nicht krank war. Er war unversehrt und leer, und sein ganzes Leben war schlicht und einfach bedeutungslos.
    Es war nie mehr als ein Geflecht aus absurden Zufällen gewesen, und es gab nichts, das da edel, nichts, das da gut, und nichts, das tröstlich gewesen wäre.
    Ohne es zu wollen, fühlte er sich in jenes Zimmer in Neapel zurückversetzt, wo er vor langer Zeit versucht hatte, seinem Leben ein Ende zu setzen und sich die Pulsadern aufgeschnit-ten hatte.
    Er konnte sich an dieses Zimmer genau erinnern. An die bemalten Wände, die Blumenborte, die sich an der Decke ent-langgezogen hatte. Er konnte sich auch daran erinnern, daß er in diesen letzten Augenblicken geradezu zwanghaft ans Meer hatte denken müssen, und wie angenehm er sich den Tod vorgestellt hatte.
    Seine Augen wurden feucht. Er spürte, wie ihm Tränen übers Gesicht liefen. Der Himmel über ihm war ein wenig heller und milchig geworden, und Guido wünschte sich, es wäre wieder ganz dunkel.
    Plötzlich wußte er, was sich hinter dieser wüsten, bodenlosen Dunkelheit in seiner Seele verbarg, die ihn zu verschlingen drohte.
    »Wenn dieser Junge stirbt, wenn es ihm nicht irgendwie gelingt, die Gewalttat, die ihm zugefügt wurde, zu überstehen, dann gehe ich mit ihm zugrunde.«
    Nicht lange danach erhob er sich von seinem Lager aus Gras und ging zum Wirtshaus zurück. Er war jedoch nicht in der Lage, sofort in sein Zimmer hinaufzugehen, sondern setzte sich auf eine der Steinstufen, legte den Kopf in die Arme und weinte still vor sich hin.
    Es war schon Jahre her, daß er Tränen vergossen hatte, so schien es ihm jedenfalls.
    Der Himmel war jetzt heller, die ersten Streifen Blau woben sich durch die endlose Wolkendecke. Guido wischte sich mit dem Ärmel die Tränen weg, bevor er aufstand.
    Als er sich jedoch umdrehte und die steinerne Treppe hinauf-blickte, die sich eng an die Wand schmiegte, sah er oben Tonios schlanke und etwas zerbrechlich wirkende Gestalt stehen.
    Der Junge

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