Falsetto
werden solle. Außerdem sollte sofort eine kleine Mitgift an eine gewisse Bettina Sanfredo, Serviermädchen im Café ihres Vaters auf dem Markusplatz, ausgezahlt werden, damit sie sich ordentlich verheiraten könnte.
Als sie dann wieder in das Kloster zurückgekehrt waren, in dem sie Unterkunft gefunden hatten, fiel Tonio erschöpft auf sein Bett.
Als sie auf ihrem Rückweg nach Neapel in Florenz die beiden Jungen abholten, die Guido dort zurückgelassen hatte, war Tonio von ihrer Gegenwart in der Kutsche sichtlich beunruhigt.
Er schien nicht damit aufhören zu können, sie anzustarren.
In Siena jedoch kaufte er den beiden neues Schuhwerk und Umhänge und bestellte bei Tisch Süßigkeiten für sie. Es waren scheue, gehorsame Jungen. Der eine war neun Jahre alt, der andere zehn, und keiner von beiden wagte etwas zu sagen oder sich zu rühren, es sei denn, er wurde dazu aufgefor-dert. Paolo aber, der jüngere der beiden, besaß Sinn für Humor, das war deutlich zu erkennen. Hin und wieder konnte er sich nicht verkneifen, Tonio breit anzulächeln, worauf dieser dann stets abrupt den Blick abwandte. Einmal sah Guido, als er nach kurzem Schlummer erwachte, daß der Junge sich neben Tonio gekuschelt hatte. Es regnete, Blitze zuckten über die sanften grünen Hügel, und mit jedem Donnerkrachen rutschte der Junge ein Stückchen näher an Tonio heran, so daß dieser schließlich, ohne ihn anzusehen, den Arm um ihn legte. Tonios Blick wurde verschwommen, und als seine Finger das Bein des Kindes umklammerten, um Paolo festzuhalten, schien es plötzlich, als würde eine unkontrollierbare Emotion in ihm aufwallen. Dann aber schloß er die Augen und neigte den Kopf zur Seite, als hätte er sich den Hals gebrochen. Und die Kutsche holperte im warmen Frühlingsregen auf die Ewige Stadt zu.
Als sie schließlich die Porta del Populo in Rom erreichten, starrte Tonio, der für den würdevollen Glanz der Stadt blind zu sein schien, nicht mehr die beiden Jungen an, sondern hatte seine zwanghafte Aufmerksamkeit nun auf Guido gerichtet.
Sein Blick hatte jedoch nichts von seiner stillen Düsternis verloren. Gnadenlos war er auf Guido geheftet, auf seinen Gang, seine Art zu sitzen, selbst auf das spärliche dunkle Haar auf seinen Handrücken. Wenn sie abends zu Bett gingen, sah Tonio dreist zu, wenn Guido in dem Zimmer, das sie teilten, seine Kleidung ablegte, starrte dabei dessen lange und anscheinend kräftige Arme an, seine breite Brust und seine breiten Schultern.
Guido ertrug dies alles schweigend.
Dennoch begann es ihn zu zermürben, ohne daß er wußte, warum das so war. Sein Körper bedeutete ihm im Grunde wenig. Schon als kleiner Junge hatte er auf der Bühne des Conservatorio gestanden, hatte sich dabei kostümiert, geschminkt und anderweitig verhüllt und verkleidet, so daß seine Eigentümlichkeiten für ihn eher etwas Alltägliches waren. Er wußte zum Beispiel, daß er mit seinem kräftigen Körperbau in Män-nerrollen gut aussah und daß seine riesigen Augen geradezu übernatürlich wirkten, wenn sie zu kräftig geschminkt waren.
Nacktheit aber, forschende Blicke und da und dort ein Gebre-chen bedeuteten ihm nichts.
Dennoch war der starrende Blick dieses Jungen so forsch und gnadenlos, daß er ihn zu irritieren begann. Als er es eines Abends nicht länger ertragen konnte, legte er seinen Löffel weg und sah Tonio an.
Tonio starrte ihn so feindselig und so unverwandt an, daß Guido einen Moment lang dachte: Diesen Jungen hat man in den Wahnsinn getrieben. Dann erkannte er, daß Tonio so sehr damit beschäftigt war, ihn zu studieren, daß er nicht einmal merkte, wie Guido seinen Blick erwiderte. Es war, als wäre Guido ein lebloses Objekt. Tonios Blick wanderte weiter, heftete sich auf Guidos Hals. Oder auf die weiße Leinenkrawatte dort? Guido hatte keine Ahnung. Jetzt starrte Tonio direkt auf seine Hände, und dann wieder genau in seine Augen, so als wäre Guido ein Gemälde.
Die Gleichgültigkeit, die er Guido gegenüber zeigte, war so vollkommen, so eklatant, daß Guido spürte, wie Zorn in ihm aufstieg. Guido besaß in der Tat ein sehr aufbrausendes Temperament, was jeder seiner Schüler im Conservatorio hät-te bezeugen können. Und jetzt richtete sich sein Zorn zum ersten Mal gegen diesen Jungen.
Immerhin war er den Befehlen dieses Kindes gefolgt, als wäre er Tonios Lakai.
Sein tief verwurzelter Haß gegenüber allem und jedem, was aristokratisch war, begann an die Oberfläche zu kommen.
Plötzlich
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