Familien Saga Bd. 3 - Zauber der Savanne
unsere ganze Wirtschaftskraft. Es gibt eine Menge Leute, wie diesen nationalistischen Querulanten Adolf Hitler, die rufen schon offen zu Gewalttätigkeiten gegen die Reichsregierung auf. Zum Glück sitzen der Kerl und seine Spießgesellen im Moment in Festungshaft. Es rumort im Volke. Die Arbeitslosigkeit nimmt ständig zu, und viele Familien wissen nicht, woher sie das Essen für den nächsten Tag nehmen sollen.«
» Das wird noch bitter enden«, grummelte Heinrich. Wie immer saß er hemdsärmelig am Küchentisch mit Hosen, die schon lange keine Bügelfalte mehr gesehen hatten, und karierten Filzpantoffeln. Ihr Gespräch wurde durch das Scheppern der Klingel unterbrochen. Heinrich rümpfte die Nase. » Ist es etwa schon zehn?«, fragte er. » Nu, dann muss das wohl der Liebermann sein. Anna, geh doch schon mal, und mach auf. Schließlich ist er ja der Präsident der Akademie.«
In aller Ruhe putzte Heinrich mit seinem riesigen Schnupftuch die Nickelbrille, dann trank er seinen Kaffee aus und erhob sich schwerfällig, um seinen Besuch zu empfangen. Heinrich Zille war in Berlin mittlerweile eine berühmte Persönlichkeit. Fast täglich standen Besucher vor der Tür, um dem Künstler ihre Aufwartung zu machen. Diese Besuche waren Zille nicht immer lieb. Oft kamen wildfremde Leute zu ihm, Journalisten und Redakteure, die etwas über ihn berichten wollten. Seiner Meinung nach stahlen diese Personen ihm jedoch nur kostbare Zeit, die er viel lieber mit Zeichnen verbracht hätte. Nicht selten kamen auch Leute aus seinem » Milljöh« vorbei, Arbeiter, Kutscher, Arbeitslose, kleine Gauner und blasse, entlassene Zuchthäusler, die ohne Scham, aber mit viel Charme Zille um etwas von » seine ville Jeld« baten. Schließlich wären sie ja die Hauptpersonen in seinen Bildern. Amüsiert hörte Zille ihren Geschichten zu, und wenn sie ihm schlüssig erschienen, dann konnte es gut sein, dass er dem einen oder anderen etwas Geld zusteckte. Unverschämte Schnorrer, Trittbrettfahrer und Schleimer konnte er auch stimmgewaltig seiner Wohnung verweisen. An vielen Tagen wollte er jedoch gar niemanden sehen. Dann ließ er Anna ein Schild an die Tür kleben, auf dem stand: » Bin krank, empfange keine Besucher.«
Der Künstler und Leiter der Preußischen Akademie der Künste Max Liebermann war jedoch ein langjähriger Freund und Gefährte von Heinrich Zille und damit ein gern gesehener Gast. Er hatte Anfang des Jahres selbst vorgeschlagen, Zille als ordentliches Mitglied und Professor in die Akademie aufzunehmen. Für Zille war das lange ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. » Da pass ick überhaupt nich hin. Das sind lauter studierte Leute, die da in der Akademie; die sehen mich bloß schief von der Seite an und fragen: Wat will’n der hier? Der ist doch bloß Lithograph! Und was soll ick denn antworten? Sie haben ja recht. Heinrich Zille als Akademiker! Vielleicht machen se mich dann ooch noch zum Professor! Dann muss ick’n Frack anziehen und Lackschuhe dazu und een steifet Hemde.« Doch Liebermann und sein Kollege Kraus hatten nicht lockergelassen, bis er schließlich eingewilligt hatte.
Liebermann hatte bereits in Heinrichs Atelier mit übereinandergeschlagenen Beinen Platz genommen und sich eine Zigarette angezündet. Der zierliche Maler trug wie immer Gehrock und Zylinder, den er neben sich auf Zilles Schreibtisch abgelegt hatte.
» Mein lieber Zille! Da sind Sie ja endlich«, begrüßte er ihn erfreut und überreichte ihm sogleich eine Mappe mit Schriftstücken. » Ich habe soeben das Vorwort für Ihren Bildband › Berliner Geschichten und Bilder‹ fertiggestellt. Habe mir erlaubt, es in Briefform zu verfassen. Ich hoffe doch sehr, Sie sind damit einverstanden.«
Heinrich nahm die Mappe und legte sie unbesehen auf den Tisch. » Mir ist das ja alles ziemlich peinlich«, knurrte er. » Und jetzt haben Sie auch noch so viel Mühe damit gehabt. Aber dieser Verleger ließ ja keine Ruhe, bis Sie endlich das dämliche Vorwort geschrieben haben.«
» Aber ich bitte Sie«, wehrte Liebermann ab. » Das war das reinste Vergnügen, endlich einmal auszudrücken, was ich so oft im Anschauen Ihrer Zeichnungen empfunden habe. Zwar ist das, was Sie darstellen, durchaus nicht vergnüglich. Im Gegenteil! Der Menschheit ganzer Jammer würde jeden anpacken, der in den nassen Kellergeruch und in die ungesunde Feuchtigkeit, die Ihre Interieurs ausatmen, versetzt würde. Aber › Was im Leben uns verdrießt, man im Bilde gern genießt‹,
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