Familien Saga Bd. 3 - Zauber der Savanne
ihre letzten Worte machten ihn für einen Moment zu einem glücklichen Mann.
*
Valentin hatte in Ricky unabsichtlich etwas zum Vorschein kommen lassen, was sie jahrelang vergeblich versucht hatte zu vergessen. Sein Kuss war die erste Berührung eines Mannes gewesen, seitdem Mukesh, ihre nie vergessene große Liebe in Indien, sie einst geküsst hatte. Mit einer Mischung aus Wehmut und Sehnsucht erinnerte sie sich daran, wie viel ihr dieser Kuss damals bedeutet hatte. Er hatte ihr den Boden unter den Füßen weggezogen, ihr Herz zum Fliegen und ihr Blut in Wallung gebracht. Sie würde ihn niemals vergessen. Noch immer, auch nach so vielen Jahren noch, tat es weh, wenn sie an den jungen Fürstensohn aus Udaipur dachte. Er war ihre große Liebe gewesen, und doch hatte er sie so enttäuscht. Natürlich hatte der Schmerz im Laufe der Jahre nachgelassen. Sie dachte nur noch selten an ihn, aber wenn es in einem sentimentalen Augenblick doch geschah, dann spürte sie den Verlust wie in den ersten Tagen. Würde sie je wieder jemanden so lieben können wie ihn?
Valentins Kuss hatte sie für einen Augenblick aus der Fassung gebracht. Er war so fordernd und gar nicht romantisch gewesen. Dennoch hatte er sie erregt. Und das verwirrte sie. Schließlich kam sie zu dem Schluss, dass er nichts weiter als eine Überreaktion auf die überstandene Gefahr gewesen war. Er hatte wohl für einen Augenblick die Gewalt über sich verloren. Schließlich hatte er sein Leben für sie aufs Spiel gesetzt, indem er sich mutig mit dem Dieb geschlagen hatte. Auf den Gedanken, dass er in sie verliebt sein konnte, kam sie gar nicht. Dazu war er in ihren Augen viel zu unromantisch. Sein Verhalten entsprach vielmehr dem eines Bruders. Wenn sie es sich richtig überlegte, dann war er das Beste, was ihr passieren konnte. Sie hatten dieselben Interessen, liebten Musik, Theater, schöne Kleider und Gesellschaft. Er hörte ihr zu, wenn sie Sorgen hatte, sagte ihr ungeschönt seine Meinung und zeigte immer Verständnis für ihre Zweifel. Der Kuss war ganz sicher nur ein Ausrutscher gewesen. Deshalb hielt sie es für das Beste, einfach so zu tun, als wäre in Teneriffa nichts zwischen ihnen geschehen. In den letzten Tagen ihrer Reise ging sie ihm aus dem Weg. Das war relativ einfach, da das Wetter sich verschlechterte und sie vorgeben konnte, dass sie seekrank war. Oft ließ sie sich das Essen einfach in ihre Kabine bringen, und wenn sie sich doch begegneten, dann sah sie zu, dass sie niemals alleine waren. Valentin unternahm hin und wieder Versuche, sie zu einem kleinen Deckspaziergang zu animieren, aber Ricky verweigerte sich diesem Ansinnen stets mit freundlicher Bestimmtheit.
Drei Wochen nach ihrer Abreise aus Südwestafrika liefen sie endlich den Hamburger Hafen an und fuhren von da mit der Eisenbahn direkt nach Berlin. Auf dem Berliner Fernbahnhof wurde Ricky von Heinrich Zille und seiner Tochter Margarete, die extra aus Demmin angereist war, aufs Herzlichste empfangen. Dem bald siebenundsechzigjährigen Zeichner und Fotografen standen die Tränen in den Augen, als er Ricky gegen alle Konventionen spontan in seine Arme schloss.
» Meine Jüte, wat bist du für’n Prachtmädchen«, berlinerte er. » Wer hätte det jedacht, dat ick der Jella sein Töchterchen mal so in de Arme schließen darf!« Er hielt sie mit ausgestreckten Armen vor sich und betrachtete sie eingehend. » Also ville Ähnlichkeit haste uff’n ersten Blick mit deener Mutter ja nich jerade. Aber wenn ick dir jenauer ankieke, dann sehe ick wat von ihrem Charme in deenen Augen blitzen!«
Ricky fühlte sich von Zilles direkter Art wärmstens aufgenommen, auch wenn sie nur die Hälfte von seinem Berliner Dialekt verstand. Sie lachte unsicher, als sie sich für den herzlichen Empfang bedankte. » Ich bin Ihnen natürlich sehr zu Dank verpflichtet und soll Sie recht herzlich von meiner Mutter grüßen.«
» Sie, Sie, wenn ick dat schon höre!«, prustete Zille ungehalten. » Ick bin der Onkel Heinrich. Dat det klar is!« Ricky lief rot an. Sie hatte das Gefühl, den falschen Ton getroffen zu haben. Zille bemerkte, dass er sie in Verlegenheit gebracht hatte.
» Nu kiek doch nich so verlegen aus der Wäsche. Ick werd dir bestimmt nich fressen! Willste mir nich mal den jungen Mann hier vorstellen?« Er deutete auf Valentin, der abwartend beim Gepäck stehen geblieben war.
» Das ist Herr Reuter, mein Gesangslehrer«, stellte Ricky ihn vor. » Er wird am Luisentheater die musikalische
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