Familien Saga Bd. 3 - Zauber der Savanne
Benjamin war seit einigen Monaten mit großem Eifer in der Schule und konnte bereits fließend lesen und schreiben. Während der ersten Jahre wurden alle Kinder in einer Klasse unterrichtet, wobei in der Regel die Älteren den Jüngeren halfen, wenn sie etwas nicht verstanden. Als einziger jüngerer Schüler gehörte Benjamin bereits zu denen, die den anderen etwas erklären konnten. Darauf war der sechsjährige Junge besonders stolz. Wenigstens das war ein Lichtblick. Raffael wartete wie üblich umsonst auf einen zahlungskräftigen Mandanten. Sonja musste dringend ein paar Anschaffungen für die Kinder machen, und er hätte sie gerne darin unterstützt. Die gebrauchte Nähmaschine musste abgestottert werden. Außerdem brauchte sie dringend neue Stoffe, um Kleider zu nähen. Raffael versetzte es jedes Mal einen Stich, wenn er daran dachte, dass im Moment seine Frau zum größten Teil für ihr Einkommen sorgte. Sonja war schon immer eine talentierte Näherin gewesen. Da sie nie viel Geld besessen hatte, hatte sie sich ihre Kleider schon lange selbst genäht. Die Schnitte und Vorlagen hatte ihr Isabella aus Illustrierten besorgt, aber mittlerweile war sie so geschickt, dass sie selbst Modelle nach ihren eigenen Vorstellungen anfertigte. Anfangs hatte sie nur für die eigene Familie genäht, aber dank der Fürsprache von Jella und deren Freundin Lisbeth hatte es sich in Windhuk bald herumgesprochen, dass Sonja eine begabte Schneiderin war. Den weißen Bürgerfrauen war der gesellschaftliche Status der Mischfamilie herzlich egal, solange sie nur nach der neuesten Mode eingekleidet wurden. Sie riefen die junge, bescheidene Frau gerne in ihre Häuser, blätterten mit ihr französische oder deutsche Modezeitschriften durch, bevor sie ihr dann einen Auftrag gaben.
Ganz anders stand es mit Raffael. Im Gegensatz zu seiner Frau haderte er weiterhin mit seinem Schicksal. Über ein Jahr war es nun schon her, dass er seine Stellung in der Kanzlei Schmiedel verloren hatte. Welche weitreichenden Folgen dies für ihre Familie hatte, hatten sie bald zu spüren bekommen. Von einem auf den anderen Tag hatte die junge Familie vor dem gesellschaftlichen und finanziellen Ruin gestanden. So erfolgreich und angesehen Raffael zuvor in der Windhuker Gesellschaft gewesen sein mochte, so unerwünscht war er nun. Seit sich herumgesprochen hatte, dass er als Farbiger in wilder Ehe mit einer weißen Frau lebte, mieden ihn die meisten seiner ehemaligen Bekannten und Klienten. Hinzu kam die Tatsache, dass Raffael allen vorgegaukelt hatte, er sei ordentlich verheiratet. Gesellschaftlich war die junge Familie Sonthofen somit untragbar. Es war ein auswegloses Dilemma. Im Falle einer raschen Heirat würde über diese Geschichte wohl bald Gras gewachsen sein. Über kurz oder lang würde keiner mehr darüber reden. Aber genau das wurde durch die Politik verhindert, weil er kein reinrassiger Weißer war. Eine ganze Zeit hatte Raffael versucht – allen gesellschaftlichen Hindernissen zum Trotz –, weiterhin als Anwalt Fuß zu fassen. Unermüdlich hatte er all seine Mandanten persönlich besucht und sie davon zu überzeugen versucht, dass es doch um seine Arbeit und nicht um ihn als Person ginge. Aber er hatte ein ums andere Mal bittere Absagen hinnehmen müssen. Manchmal musste er sich sogar Beschimpfungen anhören. Selbst ihm gewogene Mandanten wie Ruus Kappler und Ernest Oppenheimer hatten sich von ihm abgewandt, wenn auch nur aus einer gewissen Loyalität Dr. Schmiedel gegenüber. Es war ein Desaster. Nach einem halben Jahr war Raffael so weit gewesen, dass er vorgeschlagen hatte, zurück nach England zu gehen. Dabei hatte er allerdings nicht mit Sonjas Widerstand gerechnet. Sosehr sie früher bereit gewesen war, sich ihm unterzuordnen, so sehr weigerte sie sich jetzt, mit ihm nach England zu gehen. » Was sollen wir in dem fremden, kalten Land allein und ohne Familie?«, hatte sie ihm entrüstet Paroli geboten. » Wir kennen niemanden dort, und du hast selbst gesagt, dass es sehr schwer ist, dort ohne Geld anständig zu leben.«
» Wir haben es hier auch nicht besser«, hatte Raffael erregt geantwortet. » Wir müssen nächsten Monat aus unserem Haus ausziehen. Und ich habe kein Geld, um uns ein anderes ebenbürtiges Haus zu mieten. In England kann ich noch einmal von vorne anfangen. Ich habe noch gewisse Verbindungen, die ich sicherlich nutzen kann.«
» Du denkst immer nur an dich«, warf ihm Sonja nicht weniger erhitzt vor. » Hast du dir mal
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