Familien Saga Bd. 3 - Zauber der Savanne
bösen Geister loszuwerden, indem er die Ahnen um Vergebung bat und das Gleichgewicht wiederherstellte. Doch dazu musste er weg von hier.
Der Gedanke an ein Ziel verlieh ihm wieder Kraft. In den nächsten Tagen begann er Stück für Stück seine Flucht vorzubereiten. Er suchte sich einen spitzen Stein, der hart genug war, um die Zeltwand zu durchtrennen. Den verbarg er in seiner Hosentasche und schmuggelte ihn unbemerkt unter die Strohmatte seiner Pritsche. Dann beobachtete er, wie und wo Wachen aufgestellt waren. Auf welchen Wegen sie patrouillierten und wann sie abgelöst wurden. Da die Gegend, durch die sie die Straße bauten, karg und wüstenähnlich war, verhielten sich die Wachmänner recht nachlässig. Soweit er feststellen konnte, bewachten nachts nicht mehr als zwei Männer gleichzeitig das gesamte Lager. Eines Abends war es endlich so weit. Debe wartete, bis die Männer um ihn herum tief schliefen. Dann glitt er von seiner Pritsche und robbte an die Zeltwand. Vorsichtig schabte er mit der Spitze seines Steins an dem Stoff. Immer wieder hielt er inne, weil das Kratzen an der Leinwand Geräusche verursachte. Dann endlich ließ sich der Stoff auseinanderreißen. Die meisten Männer waren in ihrem ersten tiefen Schlaf gefangen, nur ab und zu drehte sich einer grunzend um. Schließlich war der Riss groß genug, dass Debe durchschlüpfen konnte. Er sah sich um. Die Wachen waren weit genug entfernt und konnten ihn nicht sehen. Für den Buschmann war es ein Leichtes, mit der Dunkelheit zu verschmelzen. Immer wieder hielt er an und lauschte. Nun konnte er die Wachen hören. Unbekümmert unterhielten sie sich etwa zwanzig Schritte von ihm entfernt. Geschickt nutzte er die Schatten der Zelte und Felsbrocken aus und schlich unentdeckt aus dem Lager in die Freiheit.
*
Die Suche nach Benjamin blieb weiterhin erfolglos. Bei den Felsen von Epongo verloren sich die Spuren endgültig. Auch ein Suchtrupp der Polizei fand keinerlei Hinweise auf seine Anwesenheit oder auf den Weg, den er genommen haben konnte. Benjamin blieb wie vom Erdboden verschluckt. Das große Fest war zum bitteren Nachhall einer Tragödie geworden. Die dunkle Wolke, die Jella von Nokoma prophezeit worden war, hatte sich über Owitambe gesenkt. Jeder der Bewohner ging anders mit der Situation um. Jella versuchte sich mit Arbeit abzulenken. Sie war Pragmatikerin genug, um zu erkennen, dass es niemandem half, wenn sie vor Kummer wie gelähmt blieben. Ganz anders verhielt sich dagegen ihr Vater. Der alte Johannes wurde noch einsilbiger und verschlossener. Er ließ niemanden an sich heran und zog sich immer öfter in die Wildnis zurück. Sarah und Isabella, die beiden Großmütter, teilten sich die Sorge um die Zwillinge. Deren Mutter befand sich lange Zeit in einer Art Schockstarre. Sonja schien unfähig, sich am normalen Leben zu beteiligen. Sobald sie sich dazu zwang, ihren alltäglichen Beschäftigungen nachzugehen, verzettelte sie sich; sie war einfach nicht in der Lage, die Dinge, die sie anfing, auch zu Ende zu führen. Daraufhin wurde sie ungeduldig mit sich selbst und verhielt sich oft ungerecht, vor allem Raffael gegenüber. Jella wusste nur allzu gut, wie sich Sonja fühlte, und versuchte auf ihre Art, ihr aus der Depression herauszuhelfen, indem sie ihr vorschlug, wieder im Lazarett mitzuarbeiten. Erst hatte Sonja abgelehnt, aber dann ließ sie sich doch überreden. Tatsächlich gelang es ihr, sich zumindest in diesen wenigen Stunden etwas abzulenken. Gemeinsam mit Fritz, Matteus und zwei Fährtensuchern war Raffael wochenlang jeder möglichen Spur gefolgt. Sie hatten die gesamte Gegend abgeritten, bis sie schließlich einsehen mussten, dass die Suche vergeblich war. Sonja gegenüber fühlte er sich wie ein Versager. Die Vorwürfe, die sie ihm am ersten Abend von Benjamins Verschwinden gemacht hatte, nagten an seinem Selbstwertgefühl. Hinzu kam, dass seine Frau sich seit dem Vorfall immer mehr von ihm zurückzog, was sein Gefühl verstärkte, dass sie ihm nicht verzeihen konnte. Dabei zermürbte ihn das ungewisse Schicksal seines Sohnes genauso sehr wie sie. Unfähig, mit ihr darüber zu reden, vergrub auch er sich immer mehr in sein Leid. Anstatt gemeinsam um ihren verlorenen Sohn zu trauern, lebten sie sich immer mehr auseinander. Schließlich hielt es Raffael nicht mehr aus. Er konnte nicht länger in diesem lähmenden Zustand verharren und beschloss, endlich wieder mit seiner Familie nach Windhuk zurückzukehren. Seine Arbeit als
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