Familien Saga Bd. 3 - Zauber der Savanne
Todesangst, in die er sie gebracht hatte. Debe flehte sie um Verzeihung an. Doch die Llangwasi kannten keine Gnade. Wieder und immer wieder quälten sie ihn mit ihren Visionen. Schließlich lockten sie seine Ahnen an, damit sie Zeugen seiner Fehler wurden. Plötzlich stand Debe seinem Großvater gegenüber, dessen großen Namen er in den Schmutz gezogen hatte. Neben ihm war dessen Schwester Sheshe, die Sternenschwester seiner Mutter, und dann war da noch Großmutter Chuka, deren Liebling er immer gewesen war. Ihre Gesichter waren voller Trauer und Empörung. Sie verfluchten ihn mit bösen Worten, und schließlich kamen sie mit dolchspitzen Fingern auf ihn zu. Er spürte ihre Berührungen wie eiskalte Nadeln, die sich in seine Eingeweide bohrten. Jeder einzelne Stich schmerzte mehr als die Verletzung durch einen Pfeil, denn sie waren durchdrungen von Vorwürfen und bitterer Enttäuschung. Debe hatte keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren, denn alles, was sie gegen ihn vorbrachten, hatte seine Berechtigung. Langsam und unerbittlich nagten sie an seinem Verstand, bis er schließlich in völlige Lethargie versank.
Irgendwann – Debe war jegliches Zeitgefühl längst abhandengekommen – zerrten ihn zwei Polizisten aus seinem dunklen Loch. Der Buschmann war so geschwächt, dass er sich nicht auf den Beinen halten konnte. Das grelle Tageslicht blendete ihn so, dass er sich mit seinen Armen davor schützen musste. Die Polizisten schleiften ihn vor einen weißen Offizier, der ihm etwas vorlas, was er nicht verstand. Danach verfrachteten sie ihn auf die Ladefläche eines Lastwagens, auf dem bereits andere Gefangene auf ihren Abtransport warteten. Debe kauerte apathisch zwischen den Männern, die ihn kaum beachteten. Für sie war der Buschmann kaum mehr wert als ein Haufen Dreck. Über holprige Pisten, die die menschliche Fracht wild durcheinanderschüttelten, wurden sie in den Norden gebracht. Sie fuhren den ganzen Tag und erreichten erst gegen Abend ein Lager aus Zelten, das für den Straßenbau errichtet worden war. Dort, wo man sie aussteigen ließ, war die Landschaft gebirgig und äußerst karg, sodass für ihre Wächter keine Notwendigkeit bestand, ihren Gefangenen Ketten anzulegen. Sie mussten sofort mit der Arbeit beginnen. Man gab Debe einen Hammer und wies ihn an, damit Steine zu zerklopfen und in einen Tragekorb zu füllen. Ein anderer Gefangener transportierte die vollen Körbe weg und brachte sie denen, die damit die Straße aufschütteten. Es war eine monotone und anstrengende Arbeit, vor allem, weil Debe viel kleiner und zierlicher war als die stämmigen Owambos, Damarra und Herero, die mit ihm schufteten. Doch der Buschmann war froh über die Beschäftigung, denn alles war besser als die fürchterliche Dunkelheit mit all den bösen Geistern.
In der Nacht zwang man sie, in den aufgestellten Mannschaftszelten zu schlafen. Auch dort war es dunkel, aber er war immerhin nicht allein. Die ersten Nächte fiel er sofort in einen traumlosen Schlaf. Doch nach einigen Tagen hatte sich sein Körper an die harte Arbeit gewöhnt; sie strengte ihn nicht mehr so sehr an. Und dann kamen die Llangwasi wieder. Sie quälten ihn so sehr, dass er immer wieder erschreckt aus dem Schlaf hochfuhr und voller Angst zu schreien begann. Seine Mitgefangenen hatten dafür überhaupt kein Verständnis. Sie schimpften und drohten, ihn zu verprügeln, wenn er nicht endlich schwieg. Zitternd verbrachte Debe die Nächte auf seiner Pritsche hockend und starrte angstvoll auf ein kleines Stückchen Nachthimmel, das durch die nicht ganz geschlossene Zeltöffnung zu sehen war. Er konzentrierte sich auf die funkelnden Sterne und erinnerte sich plötzlich an die Worte seiner Mutter, die ihm so oft erzählt hatte, dass die Sterne das Tor zur Anderswelt seien. Sie hatte immer behauptet, dass auch er ein großes Num besäße. Er müsse sich nur öffnen und es in sein Leben lassen. Debe hatte sich ihm immer verweigert. Es war ihm zu anstrengend gewesen, den mühsamen Weg eines Heilers zu gehen. Stattdessen war er den Verlockungen der Weißen erlegen und hatte sein Volk verraten. » Es tut mir so leid«, weinte er leise. Seine Augen füllten sich mit Tränen, sodass die Sterne vor seinen Augen zu hellen Streifen verschwammen. Plötzlich war seine Sehnsucht, den Sternen nahe zu sein, so groß, dass er zum ersten Mal seit seiner Gefangennahme an Flucht dachte. Er wusste, dass er nie wieder zu seinem Volk zurückkonnte, aber er konnte versuchen, die
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