Familien Saga Bd. 3 - Zauber der Savanne
Morgen lief die Strathnaver mit dampfenden Schornsteinen in den weitläufigen, von Inseln geschützten Hafen von Bombay ein. Da es Mitte Dezember war, war die Luft angenehm kühl und bei Weitem nicht so stickig, wie sie Ricky von ihrem ersten Besuch in Erinnerung hatte. Das Gate of India leuchtete in der Morgensonne, und noch vom Schiff aus konnte man das laute Treiben der großen Stadt hören. In das Rufen der Hafenarbeiter mischten sich das Hupen von Autos und das Schreien der Straßenhändler. Alles, was Beine hatte, schien bereits auf den verstaubten Straßen und Wegen unterwegs zu sein. Während sie sich von der Gangway einen Weg zu einem wartenden Automobil bahnten, mussten sie zwischen Teeverkäufern, Wasserträgern und Jungen, die auf wackligen Fahrrädern Türme voller Fladenbrote auf ihren Köpfen balancierten, durch. Frauen in leuchtend bunten Saris boten Obst und Gemüse feil. Zerlumpte Kinder bettelten am Straßenrand um einen Teller Dal, eine einfache Linsensuppe. Von Ferne ertönte das Läuten einer Tempelglocke, während über all dem bunten Leben der unvergleichliche Geruch von Kardamom, Kreuzkümmel, Gelbwurz und gemahlenem Ingwer lag. Ricky atmete tief ein und strahlte. Für einen Moment glaubte sie wieder das kleine Mädchen zu sein, das hier in Indien seine Kindheit verbracht hatte. Glücklich sah sie zu Mukesh hin, der gerade dabei war, seinen Dienern Anweisungen für den Transport ihres Gepäcks zu geben. Jetzt würde sich ihr Traum also doch noch erfüllen. Die Entscheidung, so schnell wie möglich mit Mukesh abzureisen, war ihr nach einem Streit mit Valentin leichtgefallen. Er hatte sich in ihren Augen wirklich unmöglich benommen. Ricky verdrängte den Gedanken an die unschöne Szene, die sich zwischen ihnen beiden abgespielt hatte. Nachdem Valentin sie in Mukeshs Armen erwischt hatte, war sie am folgenden Tag mit bangem Herzen zur Probe erschienen, um sich mit ihm auszusprechen. Sie hatte gehofft, dass er ihre Gefühle für Mukesh verstehen und ihr helfen würde, ihre aus den Fugen geratenen Gefühle wieder zu ordnen. Sie hatte doch selbst nicht gewusst, was für sie richtig war. Doch kaum hatte sie ihm ihre gesamte Situation erklärt – unter anderem auch, dass Mukesh ihre erste große Liebe gewesen war und sie ihn nie vergessen hatte –, da war er mit einem bitteren Lachen aufgesprungen. Seine Reaktion war so heftig gewesen, dass der Stuhl, auf dem er gesessen hatte, umgefallen war. » Willst du damit sagen, dass du diesen indischen …«, er verbiss sich offensichtlich das Wort Schnösel, » … Fürsten liebst?« Seine graugrünen Augen blitzten vor Enttäuschung. » Dann war das alles zwischen uns also für dich nichts als … ein Zeitvertreib?« Ricky war entsetzt gewesen. Sie hatte nochmals versucht, ihm ihre verwirrten Gefühle zu erklären, aber wahrscheinlich war sie schrecklich ungeschickt gewesen. Wie hätte sie ihm auch erklären können, dass sie ihn wohl liebte, dass Mukesh sie aber viel mehr verzauberte als er, dass ihr Herz schon schlug, wenn sie nur an ihn dachte, während er, Valentin, ihr in so viel anderem unersetzlich war? Stattdessen hatte sie sich hinter Ausflüchten versteckt, die Valentin mit verbissenem Schweigen quittierte. Als ihr Wortschwall schließlich verebbt war, sagte er immer noch nichts. Seine Gesichtszüge waren so verhärtet, dass sie darüber erschrak. Schließlich hatte er grußlos den Proberaum verlassen. Sie wartete eine geschlagene halbe Stunde auf ihn, doch er kam nicht zurück. Auch am folgenden Tag erschien er nicht zur Probe. Als Ricky ihn in seinem Hotelzimmer aufsuchen wollte, um nochmals ein Gespräch mit ihm zu suchen, erfuhr sie vom Portier, dass er nach Deutschland abgereist war.
Die Enttäuschung, die sie darüber empfand, erstaunte sie selbst. Seine Abreise schmerzte sie, und sie empfand sie wie einen Verrat. Später wurde sie wütend auf ihn und wollte seine Zurückweisung so nicht akzeptieren. Mehrere Male versuchte sie ihn telefonisch in seinem Büro zu erreichen, aber sie hatte keinen Erfolg. Insgeheim hoffte sie, dass er sich nach einiger Zeit wieder beruhigen würde, aber stattdessen erreichte sie am folgenden Tag ein Brief, in dem er ihr in knappen Worten mitteilte, dass ihre gemeinsame Zeit mit Abschluss der Tournee vorüber sei. Er hatte neue Pläne für seine Zukunft und werde Europa wohl bald endgültig den Rücken kehren. Er dankte ihr für ihre Zusammenarbeit und wünschte ihr weiterhin viel Erfolg. Die nüchternen
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