Familien Saga Bd. 3 - Zauber der Savanne
Nachtmahr, und dennoch schwieg er.
Am Abend setzten die Schmerzen wieder mit aller Wucht ein. Nachtmahr musste sich noch während des Abendessens übergeben und spuckte Blut. Er quälte sich auf sein Bett und schloss die Augen. Benjamin sah wie gewöhnlich weg und versuchte den Schmerz seines Großvaters zu ignorieren, aber als selbst Stromer zu jaulen begann, begriff er, dass es ihm dieses Mal noch schlechter ging. Plötzlich fühlte er doch so etwas wie Mitleid in sich aufkeimen. Bislang hatte er in dem alten Mann immer nur das Böse gesehen. Er hatte ihn, ein Kind, entführt und seinen Eltern und Geschwistern entrissen. Er war schuld, dass er hier so unglücklich war. Aber seine Eltern hatten ihm auch beigebracht, dass man niemanden leiden lassen durfte. Der alte Mann krümmte sich vor Schmerzen. Immer wieder wurde er von schweren Krämpfen geschüttelt, die sein Gesicht zu einer schrecklichen Grimasse verzerrten. Er war selbst zu schwach, um an seine Tabletten zu kommen. Benjamin stand auf und holte sie samt einem Glas Wasser. Er stopfte zwei Tabletten in die ausgetrockneten Mundwinkel des Mannes, stemmte den Kopf etwas in die Höhe und versuchte, ihm etwas Wasser einzuflößen. Nur mit Mühe gelang es dem alten Mann, sie zu schlucken. Dann zog Benjamin ihm die Stiefel aus und deckte ihn mit einer Decke zu. Als das krampflösende Medikament zu wirken begann, fiel Nachtmahr in einen unruhigen Schlaf. Benjamin überlegte, ob er zur Farm gehen sollte, um Melinda zu holen, aber dann fürchtete er sich vor dem dunklen Weg, den er zudem gar nicht genau kannte. Der alte Mann hatte ihm immer verboten, die Farm zu betreten. Unschlüssig begab er sich zu dessen Bett. Das Angeln hatte ihn ermüdet, aber gleichzeitig spürte er, dass er sich jetzt nicht hinlegen durfte. Also rückte er einen Stuhl neben das Bett des Kranken, nahm Stromer auf seinen Schoß und wartete ab. Irgendwann überwältigte ihn die Müdigkeit, und er nickte ein.
Die Petroleumlampe auf dem Tisch war schon längst verloschen, als ihn das Röcheln des alten Mannes wieder weckte. Benjamin stand rasch auf, um neues Licht zu machen. Als er zurückkam, sah er, dass Nachtmahr versuchte, sich aufzurichten. » Hilf mir«, krächzte er mit schmerzverzerrter Stimme. Benjamin rückte ihm das Kissen im Rücken zurecht und gab ihm dann etwas Wasser. Die Äderchen in den Augäpfeln des alten Mannes waren fast alle geplatzt. Er sah hilflos aus und gar nicht mehr so furchterregend wie sonst. Benjamin fühlte ihm gegenüber zum ersten Mal keinen Hass mehr. » Brauchst du deine Tabletten?«, fragte er. Nachtmahr schüttelte leicht den Kopf.
» Sie helfen nicht mehr«, meinte er. Seine Stimme klang nun klar und gefasst. Er hatte Mühe beim Atmen und röchelte. Hilflos tastete seine knotige, immer noch dicht behaarte Hand in Benjamins Richtung. Reflexartig zog der Junge seine Hand zurück. Der alte Mann verzog den Mund zu einem bedauernden Lächeln, akzeptierte es aber. » Das habe ich nun davon«, meinte er mehr zu sich selbst als zu ihm. » Mein ganzes Leben lang habe ich mir genommen, was ich wollte. Und jetzt zeigst ausgerechnet du mir, dass ich nicht alles bekommen kann.« Er lachte kurz und bitter auf, wurde aber sofort von einem kurzen, heftigen Hustenanfall unterbrochen. » Ich werde nicht mehr lange leben, Junge«, begann er plötzlich. Der Blick aus seinen blutunterlaufenen Augen wirkte nachdenklich, ja sogar einsichtsvoll. » Vielleicht war es doch nicht richtig, dich deinen Eltern wegzunehmen.« Er richtete sich noch ein wenig höher auf, weil ihm das Atmen immer schwerer fiel. Benjamin riet ihm, sich wieder hinzulegen, doch Nachtmahr weigerte sich. » Warte, bis es hell wird«, keuchte er schwerfällig. Seine Stimme kippte nun in ein Röcheln um. » Sag Appeldorn, dass er dich zurück nach Owitambe bringen soll. Er wird es tun, hörst du?« Seine Augen suchten Benjamins. » Vergiss mich nicht!« Noch einmal versuchte er die Hand seines Enkels zu ergreifen, doch der Junge verweigerte sie ihm weiterhin. Nachtmahr nickte bitter. Sein Kopf sank langsam auf das Kissen zurück, während sich sein Blick an einen rußigen Fleck an der Decke verlor.
Benjamin begriff eine ganze Zeit nicht, was geschehen war. Erst als er sich über den alten Mann beugte und dessen starrer Blick an ihm vorbei ins Leere ging, begriff er, dass Nachtmahr tot sein musste. Stromer saß neben ihm und winselte leise. Benjamin zögerte einen kurzen Augenblick, dann hob er seine Hand und
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