Familienalbum
Schnürchen – was zählt, ist doch zu wissen, wo man hingehört: zu einer Familie, einer wunderbar großen Familie, oder? Alison sieht Allersmead als den Archetyp »heimischen Herd« und sich selbst als dessen Hüterin. Das und nichts anderes hat sie immer gewollt: Kinder und ein Haus, in dem sie sie unterbringen kann, ein geräumiges, weitläufiges Haus. Und natürlich einen Mann. Und einen lieben alten Hund. Und ofenfeste Keramik von Denby, eine Moulinex, einen Fischkochtopf und einen Satz Sabatier-Messer. Das alles hat sie und weiß, das Schicksal hat es gut mit ihr gemeint. Ja, sie hatte wirklich Glück.
Alison ist in der Küche nicht lange allein, es herrscht ein Kommen und Gehen. Gina will Mrs. Thatchers Adresse wissen. Alison vermutet, Downing Street Nr. 10; Gina zeigt ihr den Entwurf ihres Briefes, der kurz ist und klar zur Sache kommt. Gina hält diese Eingreiftruppe für eine dumme Idee und diesen Krieg für eine Vergeudung von Geld und Menschenleben. Sie warnt Mrs. Thatcher, dass sie sie nicht wählen wird, wenn sie achtzehn ist. Clare hat ihre Bastelschere verloren und will die Küchenschere, was Alison ihr verbietet, weil das eine richtige Schere ist und richtig scharf, und richtige Scheren darf Clare noch nicht benutzen. Clare fängt an zu quengeln und wird von Ingrid abgelenkt, die in diesem Moment auftaucht: »Komm, wir machen Teigmännchen.« Clare beschäftigt sich glücklich mit Mehl, Wasser und einem Nudelholz und wird nur von Roger und Katie abgelenkt, als sie an den Tisch kommen, sich auf ihre Stühle plumpsen lassen und dieses Spiel mit der flachen Hand, der geschlossenen Faust und den Scherenfingern zu spielen beginnen, Stein – Schere – Papier. Clare will auch mitspielen. Katie erklärt geduldig: »Die Schere schneidet das Papier, das Papier wickelt den Stein ein, der Stein macht die Schere stumpf.« Clare entscheidet sich jedes Mal für die Schere.
Sandra braucht Geld für den Bus. Sie ist schlecht gelaunt, weil Alison sie nicht zum Shoppen fahren will. Alison fährt später in den Supermarkt, der außerhalb liegt, in der anderen Richtung; mehr Fahrerei will sie sich heute nicht zumuten.
Paul lässt sich nicht blicken, aber hören: Er knallt die Haustür zu, vermutlich will er zu einem seiner Kumpel in der Nähe.
*
Charles’ Vormittag in der Bibliothek verläuft ergebnislos. Er ist regelrecht frustriert. Die Abteilung mit Nachschlagewerken ist für seine Zwecke unzureichend. Er benutzt die örtliche Bibliothek nicht oft, sondern fährt lieber in die Stadt, zur British Library, aber man sollte eigentlich meinen, eine anständige öffentliche Bibliothek müsse zum Nachprüfen einiger grundlegender Fakten doch gerüstet sein. Zwei Stunden lang tigert er verärgert durch die Regale, schikaniert eine Bibliothekarin und verlässt dann unzufrieden das Gebäude. Er hätte doch in die Stadt fahren sollen. Dafür ist es jetzt zu spät – das muss er auf Montag verschieben und ein paar entscheidende Punkte später nachtragen. Jetzt drängt es ihn zu seinem Text zurück; er ist in Schreiblaune, in Fluss, diesen Tag muss er nutzen. Diesen speziellen Tag.
Er geht nach Hause, rechtzeitig zum Mittagessen, das er schon riecht, als er die Haustür aufmacht: Zitronenduft, etwas schmort im Ofen. Der Hund, eine Art Labrador aus dem Battersea-Tierheim, begrüßt ihn unterwürfig und respektvoll, wie seine Kinder es nie tun. Er geht nach links ins Arbeitszimmer, um seine Aktentasche abzustellen, und ertappt Gina beim Öffnen einer Schreibtischschublade.
Das ist ein Regelverstoß. Gröbster Art. Für die Kinder ist der Zutritt zum Arbeitszimmer verboten. Sie dürfen ihn nicht stören, wenn er dort ist (»Und wenn es brennt? Und wenn Mum tot umfällt?«), und den Raum unter keinen Umständen betreten, wenn er nicht dort ist. Aber da steht Gina vor einer offenen Schublade.
»Was machst du hier?«, blafft Charles.
Gina antwortet, dass sie Papier und einen Umschlag braucht. Sie hat einen Brief an Mrs. Thatcher aufgesetzt und muss ihn nun auf seinem Briefpapier ins Reine schreiben, das mit der Adresse oben.
»Du hättest warten und fragen sollen«, sagt Charles. »Du weißt, dass du hier nichts zu suchen hast. Und in dieser Schublade ist es sowieso nicht.«
Gina schließt die Schublade ziemlich heftig und schafft es dabei, vom Manuskriptstapel neben der Schreibmaschine die obersten Blätter herunterzufegen. Charles schreit verärgert auf und macht einen Satz, um sie aufzusammeln. »Gina, ich kann dich
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