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Familienalbum

Familienalbum

Titel: Familienalbum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Lively
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– und läuft mit klackenden Absätzen die Steinstufen hoch. Sie stößt die Tür auf, riecht das Abendessen – tausend Abendessen –, wehrt den Hund ab, der mit seinen schmutzigen Pfoten ihren Rock bedroht. Da kommt Charles aus dem Arbeitszimmer.
    »Hi, Dad«, sagt Sandra. »Herzlichen Glückwunsch.«
    Charles scheint über diese Worte nachzudenken. »Ach ja. Richtig. Es wird viel Gedöns darum gemacht.«
    »Natürlich. Ein Ereignis. Sind alle schon da?«
    »Die Haustür ging rege auf und zu. Keine Ahnung, wie oft.«
    »Dad«, sagt Sandra, »du stehst mal wieder völlig neben der Spur.«
    Charles blickt verwirrt zu Boden. »Wie bitte?«
    Sandra zuckt mit den Achseln. »Nur so ein Ausdruck. Du bist nicht ganz … da.«
    »Ich bitte um Verzeihung«, sagt Charles. »Übrigens wollte ich gerade hinaufgehen und dem Anlass zu Ehren ein frisches Hemd anziehen.«
    »Gute Idee«, sagt Sandra. Sie denkt, besser wäre ein neues Hemd. Das blaue Ding mit dem ausgefransten Button-down-Kragen stammt noch aus der Zeit, als sie ungefähr zehn war. Ob Dad überhaupt einen Anzug besitzt ?
    Charles hat keine Eile. Er sieht sie scharf an. »Wie viel verdienst du?«
    Sandra ist brüskiert. »Das werde ich dir auf keinen Fall auf die Nase binden.«
    »Mein Interesse ist rein akademisch. Ich schreibe über finanzielle Erwartungen. Wie die Menschen ihren eigenen Wert einschätzen. Wie viel bist du wert?«
    »Um die dreißig Mille«, antwortet Sandra knapp. Das ist erheblich mehr als ihr momentanes Gehalt.
    Charles zieht eine Augenbraue hoch. »Ich bin beeindruckt. Dafür kriegt man, glaube ich, schon einen Universitätsdozenten. Sag mir noch schnell, wie alt du jetzt bist.«
    »Also echt , Dad … «, schreit Sandra.
    Die Küchentür geht auf, und Alison kommt heraus.
    »Ach … Sandraschatz. Ich dachte, es ist vielleicht Paul. Wir sind ein bisschen besorgt, dass er …«
    Da schwingt die Haustür auf. Im Türrahmen steht Gina.
    »Ginaschatz …«, sagt Alison. Ihre Stimme verebbt.
    *
    Mum ist schrecklich aufgeregt. Dad gar nicht. Sandra hat blonde Strähnchen im Haar und ein Auto, das ziemlich teuer aussieht.
    Gina schließt die Tür hinter sich und wird von Allersmead verschluckt. Clare flattert die Treppe herunter. Aus der Küche dringen die Stimmen von Katie und Roger, unterbrochen von Ingrid, die etwas von Tischdecken sagt. Gina streckt Alison ihre Lilien entgegen und entdeckt im selben Moment Sandras Strauß auf dem Tischchen in der Eingangshalle. Der den ihren weit in den Schatten stellt. War ja klar.
    »Du liebe Güte«, sagt Alison schwach. »Und du auch, Sandra! Wie hübsch. Ich muss sie gleich ins Wasser stellen. Ihr seid beide natürlich in euren Zimmern, aber denkt daran, dass ihr das Bad mit Corinna und Martin teilt. Ich hoffe, sie verspäten sich nicht – die Fasane müssen um halb neun aus dem Ofen. Und Paul … Schlimmstenfalls müssen wir wohl ohne ihn anfangen. Er schien nicht in der Lage, definitiv zu sagen, ob er kommt, und hat sich nicht mehr gemeldet. Ich glaube, ich geh schnell nach oben und zieh mich um, bevor Corinna kommt. Ingrid hat das Feuer im Wohnzimmerkamin nicht richtig in Gang gekriegt – könnt ihr euch darum kümmern, eine von euch?«
    Alison geht nach oben, Charles folgt ihr. Sandra und Gina sehen sich an.
    »Ich versteh nicht viel von Feuer«, sagt Sandra mit einem seidenweichen Lächeln. Auch sie entschwebt nach oben, ihre Tasche in der Hand.
    Gina geht ins Wohnzimmer, wo das Kaminfeuer missmutig vor sich hin schwelt. Einmal hat sie einen Brief an den Weihnachtsmann geschrieben, mit der Bitte, ihr eine richtige Schreibmaschine zu bringen. Er hat ihr den Wunsch nicht erfüllt, genauso wenig, wie Gott ihrem Gesuch nachkam, Sandra in eine andere Familie zu versetzen. Diese beiden Fehlschläge haben in Gina eine permanente Skepsis gegenüber der Macht viel gepriesener Instanzen erzeugt. Auch die Vereinten Nationen werden mitunter, wie man weiß, den Erwartungen nicht gerecht.
    Gina wirft eine Handvoll Späne in die trägen Flammen, richtet den Blasebalg auf sie und bringt sie zum Auflodern. Sie geht in die Hocke und beobachtet das Feuer.
    Katie kommt herein. »Erinnerst du dich, wo die Vasen sind? Mum hat mir gesagt, ich soll die Blumen ins Wasser stellen.«
    »Im Speisekammerschrank, oberstes Fach.«
    Katie setzt sich auf den Kaminschemel. »Als ich angekommen bin, schwamm Mum in Tränen.«
    »Warum?«
    »Ich weiß nicht. Dad hatte sich anscheinend in Luft aufgelöst, und Paul sorgt für

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