Familienalbum
Aufregung.«
Gina stochert gegen ein Holzscheit. Funken fliegen auf. »Da kann man nur die Daumen drücken.«
»Wieso?«
»Also … auf Paul würde ich nicht setzen, weder so noch so.«
»Oje.« Katie seufzt. »Der Abend heute liegt Mum sehr am Herzen.«
»Ich weiß. Ein halbes Dutzend Fasane mussten ihr Leben dafür lassen.« Gina hält Katie den Blasebalg hin. »Übernimm du mal ein bisschen.«
Katie hockt sich vor das Feuer. Die Holzscheite glühen auf. »Was machst du eigentlich dort beim Radio?«
»Ich jage der Feuerwehr hinterher«, sagt Gina. »Aber nur der Ortsfeuerwehr. Ich halte die öffentliche Empörung über die mutwillige Zerstörung von Parkbänken fest. Ich interviewe Hundertjährige.«
»Macht das Spaß?«
»Ein bisschen Spaß kann man dem immer abgewinnen.«
»Du wolltest schon immer so was machen«, sagt Katie. »Erinnerst du dich an den Allersmeader Wochenboten ?«
Gina lacht. »Da war ich Herausgeberin, Leitartiklerin und Reporterin. Ihr anderen habt zu nichts getaugt. Und habt nach der ersten Ausgabe jedes Interesse verloren.«
»Du hast vielleicht ein Glück. Ich habe keine Ahnung, was ich mal machen soll.«
»Mach dir keine Sorgen. Die Dinge haben die Tendenz, einfach auf einen zuzukommen.«
»Aber wenn die falschen Dinge auf einen zukommen?«
»Dann weich ihnen aus«, sagt Gina. »Und erkenn die Sackgassen. Aber das sage ausgerechnet ich! Es gibt Leute, die Lokalradios für eine solche Sackgasse halten. Ich gebe der Stelle ein Jahr.«
»Es gibt da solche Graduiertenstipendien für Amerika. Daran habe ich schon gedacht.«
»Dann bewirb dich.«
Katie seufzt wieder und steht auf. »Ich kümmere mich jetzt mal um die Blumen.«
Allmählich entwickelt sich ein Glutkern. Gina legt noch ein Scheit auf. In diesem Vororthaus, spricht sie ins Mikro – nein, in dieser geräumigen Vorortvilla versammelt sich eine Familie zu einem heiligen Ritual, zur Feier verstrichener Zeit. Fünfundzwanzig Jahre wurden totgeschlagen, fünfundzwanzig Jahre sind unter Dach und Fach. Eltern und Kinder sind zusammengekommen, um diesen unglaublichen Sieg über den Kalender zu bestaunen, einander zu gratulieren, dass sie älter geworden sind und sich dem Stillstand verweigert haben. Tiere wurden geopfert, es wird Festansprachen geben – hoffen wir, nicht allzu viele –, individuelle Überzeugungen und Vorlieben werden zum Ausdruck kommen – hoffen wir auch hier wieder, nicht allzu lange –, das alte Heim wird von fröhlichem Trubel widerhallen, aber offen gestanden – und daran besteht kein Zweifel – auch von dem einen oder anderen Missklang am Rande. Unterhalten wir uns mit einigen der Hauptakteure …
Clare kommt herein. »Schau mal«, sagt sie.
Sie beugt sich nach hinten, stützt die Hände auf den Boden und verharrt so, ein perfekter Bogen.
»Fantastisch«, sagt Gina.
Clare richtet sich wieder auf. Sie hebt ein Bein bis zur Schulter an und umfasst mit einer Hand leicht den Fuß.
»Beeindruckend.«
Clare setzt sich im Schneidersitz neben den Kamin. »Hast du schon mal vom Frankfurter Ballett gehört?«
»Ich fürchte, nein.« Gina spitzt die Lippen und neigt den Kopf zur Seite. »Clare, du bist eine junge Ballettelevin«, sagt sie. »Wie ist das nun: Siehst du dich selbst als Zuckerfee oder als Mitglied einer heißen Gospeltruppe?«
Clare kichert. »Wieso sprichst du mit dieser komischen Stimme?«
»Das ist meine Interviewstimme. Clare, wie würdest du als sechzehnjährige Tanzwütige die Welt verändern?«
»Ich kann nicht glauben, dass du die Leute wirklich solche Sachen fragst.«
»Tu ich leider auch nicht. Ich frage sie, ob sie für eine neue Umgehungsstraße sind und was es für ein Gefühl ist, bei der Hundeausstellung den ersten Preis zu gewinnen. Mit etwas Glück kann man das eine oder andere subversive Thema einfließen lassen.«
Clare steht auf, macht einen Spagat und bleibt so auf dem Kaminvorleger sitzen.
»Hör auf«, sagt Gina. »Wenn ich dich nur ansehe, tut mir alles weh.«
Mit einem Schwung kommt Clare wieder zum Stehen und schlendert zum Fenster hinüber. »Da ist ein Auto.«
»Aha. Corinna und Martin.«
»Es gab hier einen Riesenaufstand wegen heute Abend.«
»Kommt mir auch so vor.«
»Wirklich der Wahnsinn. Bei Mum und Ingrid jedenfalls, bei Dad nicht. Der Kuchen ist mit lauter Silberzeug verziert. Mum hat bis Mitternacht an dem Guss gearbeitet.«
Gina stochert im Feuer, das jetzt gut brennt. Sie starrt durch die Funken in die zitternde rote Glut, vor der
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