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Familienalbum

Familienalbum

Titel: Familienalbum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Lively
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verdammten Loch rumhocken. Er hat in Bude jede Menge Kumpel kennengelernt, und so hat sich eben eins aus dem anderen ergeben.
    Gina seufzt. Bei Paul ergibt sich immer eins aus dem anderen. Entwicklung ist bei ihm etwas Sprunghaftes, keine glatte Bahn; er schießt impulsiv in eine Richtung los und schlägt dann wieder einen Haken. Alles hängt davon ab, wem er begegnet, was er hört, was seine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ein Strom von unerschütterlichem Optimismus trägt ihn durchs Leben: Am Ende wird schon alles klappen, etwas wird sich auftun, es wird schon niemand rauskriegen, oder?
    Leider kriegt es manchmal doch jemand heraus. Die Sturköpfe und Spaßverderber der hiesigen Polizei, zum Beispiel. Deshalb wurden Paul jetzt nicht nur ein wenig die Flügel gestutzt, sondern er steht richtig unter Hausarrest. Den Rest der Ferien wird er in Crackington Haven bleiben, vierundzwanzig Stunden täglich. Zur Überraschung aller fügt er sich bereitwillig. Er lässt mit Roger Drachen steigen, er bewundert Clares Räder. Er bietet Alison an, ihr beim Kochen zu helfen, kleckert einen Nachmittag lang in der Küche herum und bäckt Scones zum Tee. Alison kommen vor Dankbarkeit und Erleichterung die Tränen. Sie meint zu Gina, es sei einfach unfair, immer tauche jemand auf, der Paul vom rechten Weg abbringt; würde er in Ruhe gelassen, käme er problemlos zurecht; immer sind andere sein Unglück.
    *
    Das also war der Sommer in Crackington Haven. Oben im CN - Tower von Toronto lassen Katie und Roger ihn über die Kluft der Jahre hinweg noch einmal Revue passieren. Jeder sieht nur seinen eigenen Bildausschnitt, und auch sie selbst sind nicht mehr die, die sie einmal waren. Sie können die fernen, früheren Ausgaben ihrer selbst zwar noch aufrufen und die Ereignisse durch deren Augen sehen, aber wirklich zu fassen sind die Katies und Rogers von damals nicht mehr. Katie blickt ihren Bruder über den Tisch hinweg an und sieht diesen Mann , der irgendwie aus dem in Felstümpeln herumfischenden Jungen in Shorts und T-Shirt hervorgewachsen ist. Sie sieht diesen Mann mit dem offenen Gesicht und dem dicken, rotblonden Strubbelhaar, diesen wirklich sympathischen Typen (warum hat ihn sich noch keine geschnappt?) mit einem Beruf, bei dem es täglich um Leben und Tod geht, ein nützlicher Mensch, ein unentbehrlicher Mensch. Roger sieht eine Frau mit einem kleinen, anziehenden Gesicht, in dessen hübschen Zügen (weiß Al, was für ein Glück er hat?) sich eine leichte Besorgnis spiegelt – aber dieser Gesichtsausdruck war ihr schon immer eigen, erinnert er sich.
    »Wie geht’s mit der Arbeit?«, fragt er.
    »Ach, super. Ich bin im Lektorat jetzt für die Einkäufe zuständig, eine Stufe weiter oben.«
    Sie schweigen.
    »Weißt du was?«, sagt Roger dann. »Sogar jetzt noch werde ich ganz aufgeregt, wenn ich an einen Seeschmetterling denke.«
    Katie lächelt. »Diese Eimer mit dem Gewimmel drin. Ich seh sie richtig vor mir. Und dich auch. Blaue Shorts und Sonnenbrand.«
    »Vorsicht. Das klingt fast nach Nostalgie.«
    »Eins von Dads Büchern beschäftigt sich damit. Ich hab’s gelesen. Oder versucht zu lesen.«
    »Angeblich eine üble Sache, Nostalgie. Unter meinen Patienten gibt es Einwanderer, die daran leiden – sie sehnen sich nach einem anderen Ort.«
    »Crackington Haven ist das Letzte, wonach ich mich sehne«, sagt Katie. »Ich erinnere mich nur an Aufregung und Scherereien und an ein unbequemes Haus. Wir sind ja mehr als einmal hingefahren.«
    »Und Allersmead?«
    »Was soll mit Allersmead sein?«
    »Wirst du da nostalgisch?«
    Katie überlegt. »Nein«, antwortet sie dann, »nicht, wenn Nostalgie bedeutet, was ich glaube. Eine Art Idealisierung. Allersmead ist einfach, Punkt. Oder war.«
    »Es gab kein Entrinnen.«
    Beide lächeln trocken.
    »Kaffee?«, fragt Roger. »Und dann muss ich zu meinen nostalgischen Einwanderern zurück.«

Ingrid
    »Deine Mutter hat angerufen«, sagt Philip.
    Gina ist gerade von turbulenten Ereignissen auf der anderen Seite des Globus zurückgekehrt. Sie hat Jetlag und ist noch nicht richtig angekommen; ein Teil von ihr hetzt und rödelt immer noch herum. Mutter? Welche Mutter?
    »Sie wollte dir sagen, dass Roger heiratet, und fragt, wann wir wieder einmal übers Wochenende nach Allersmead kommen.«
    Gina taucht aus den Tiefen empor. »Ah. Wen heiratet Roger denn?«
    »Eine absolut reizende Kanadierin.«
    »Na klar. Wie schön für ihn.«
    »Wann also?«
    »Was wann?« Gina wirft schmutzige Wäsche

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