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Familienalbum

Familienalbum

Titel: Familienalbum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Lively
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zieht vorüber.
    »Es muss eine schwierige Zeit gewesen sein«, sagt sie.
    Roger zuckt mit den Achseln. »Ich kann mich doch gar nicht erinnern. Ich war erst zwei. Für mich war Clare immer da.«
    Susan überlegt, wie das praktisch umgesetzt wurde. Hat sich Alison ein Kissen vor den Bauch gestopft? Wurde Ingrid zu einem diskreten Zwischenaufenthalt in ein Kloster geschickt? Sie behält diese Gedanken für sich, ist aber nicht überrascht, als Roger wieder anfängt: Sie haben als Paar den Punkt erreicht, an dem das Gedankenlesen einsetzt.
    »Paul hat mir einmal erzählt, er erinnere sich daran, dass Ingrid weggegangen ist, und als sie wiederkam, war irgendwie auch dieses Baby da. Aber es war immer unser Baby, und Mum und Dad waren seine Eltern. Es war die Rede davon, dass die richtigen Eltern nicht für das Baby sorgen konnten und es uns geschenkt haben.«
    »Und später?«
    »Später sind wir irgendwie draufgekommen. Viel später. Da gehörte das Ganze längst zum Familienleben. Eine Tatsache, die aber nie ausgesprochen wurde.«
    »Deine Familie ist viel interessanter als meine«, sagt Susan.
    Roger sieht sie verblüfft an. Er hat es ziemlich interessant gefunden, eine chinesische Immigrantenfamilie kennenzulernen, und sagt das auch.
    Susan lacht. »Überhaupt nicht! Wir sind typisch für Zigtausende in ganz Nordamerika: strebsame, ehrgeizige Eltern, erfolgreiche Kinder.«
    Roger widerspricht. Er hebt die Bedeutung kultureller Vielfalt hervor und weist darauf hin, wie wertvoll es ist, in einer Kultur aufzuwachsen und als Erbe eine zweite Kultur in sich zu tragen.
    Auch darüber lacht Susan. »Die Dim Sum meiner Mutter, die Knallbonbons bei unseren Geburtstagsfeiern?«
    Und dein Gesicht, hätte er am liebsten gesagt. Dein faszinierendes Gesicht, das die Erinnerung an die andere Seite der Welt bewahrt. Stattdessen äußert er sich wegwerfend über seine eigene Herkunft.
    »Wir waren englische Mittelschicht, durch und durch. Es gibt Tausende und Abertausende von Haushalten wie Allersmead.« Kaum hat er das gesagt, merkt er, dass es vielleicht nicht ganz stimmt: Er denkt an die unkonventionellen Ansichten seines Vaters, an seine Mutter, die mit ihrem aufgelösten Haarknoten und ihrer Missachtung jeglicher Mode eher der Bohème der Zwanzigerjahre entsprungen scheint; er denkt an Allersmead selbst, das ebenfalls den Anforderungen einer kultivierten Gesellschaft trotzt – die englische Mittelschicht lebt nicht so ärmlich, mit antiquierten Klosetts, und ihre Küchen sind seit den Fünfzigerjahren längst modernisiert worden.
    »Bei näherem Hinsehen ist eigentlich jede Familie interessant«, sagt Susan. »An der deinen kommt mir einfach alles exotisch vor.«
    Exotisch? Roger ist betroffen. Plötzlich sieht er den Abgrund zwischen sich und Susan, seiner geliebten Susan, die unüberbrückbare Kluft, die jedes Paar trennt, das Ergebnis der frühkindlichen Jahre. Die Kindheit baut die Bühne auf, den entscheidenden Schauplatz, der die Maßstäbe setzt, sodass jeder Blick auf einen anderen Lebensstil überrascht. Die Kindheit, von der nur bruchstückhafte Filmsequenzen im Gedächtnis bleiben, wurde einfach hingenommen, bildet aber für immer das Fundament, auf dem man steht. Was ist denn bitte an Allersmead exotisch?
    Es ist schon nach Mitternacht. Eine der ehelichen Freuden, denkt Roger, ist dieses nächtliche Zerpflücken der Ereignisse im Bett, in herrlich intimer Zweisamkeit, wenn der Rest der Welt ausgesperrt ist und niemand existiert außer ihm und Susan. Merkwürdig ist nur, dass es im Gästezimmer von Allersmead geschieht, aber darum ist es nicht weniger köstlich. Er sagt bewundernd, Susan habe die Spitzen seines Vaters glänzend pariert, andere wären ausgerastet, und was für ein Schatz sie sei, dass sie sich mit seiner Mutter übers Kochen unterhalten habe, das wäre kein Muss gewesen.
    »Aber ich wollte das«, erwidert Susan. »Ich interessiere mich fürs Kochen. Hast du das nicht bemerkt?«
    Doch, doch, sagt Roger, er habe es bemerkt. Er umfasst ihre Hüfte. »Du bist einfach grandios mit ihnen umgegangen. Mum hat dich wirklich ins Herz geschlossen.«
    »Und dein Vater?« Er spürt, wie sie im Dunkeln lächelt.
    »Dad ist nicht der Typ, der jemanden ins Herz schließt. Jedenfalls nicht so, dass man es merkt.«
    »Aber wenn er jemanden nicht mag, würde man es merken?«
    O ja, das würde man, versichert Roger mit einigem Nachdruck.
    »Dann bin ich wohl einigermaßen durchgerutscht.« Susan gähnt. »Ich muss

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