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Familienalbum

Familienalbum

Titel: Familienalbum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Lively
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erlaubt. Hier ist es wahrscheinlich anders.«
    Die Bemerkung enthielt nur den winzigsten Anflug einer Kritik, aber Roger begriff, dass er geliefert war. Entweder legte er die allersmeadschen Hausregeln offen auf den Tisch, gab seinen Betrug zu und rettete die Familienehre, oder er schwieg und ließ zu, dass im Vergleich zu den gesitteten, überlegenen Umgangsformen in Stefans Haus ein Schatten auf seine eigene Familie fiel. Drittens könnte er auch amüsiert über eine solche Prüderie schnauben, als wäre er ein liberales Klima gewöhnt, das ihm völlige Ausdrucksfreiheit ließ.
    Er starrte verzweifelt auf das Brett und wich Stefans Blicken aus.
    Die Tür ging auf. »Wollt ihr nicht lieber schlafen gehen, Jungs?«, fragte Alison. »Stefan muss nach der Reise todmüde sein. Oder wollt ihr noch zu Ende spielen?«
    Roger wischte die Buchstaben vom Brett. »Ach, wir sind sowieso fast fertig«, sagte er. »Stefan hat gewonnen.«
    Viel später lag er immer noch wach im Bett; da kam ihm ein weiterer Gedanke: Wenn Stefans Familie so überaus etepetete war, dann sollte fuck nicht zu ihrem englischen Wortschatz gehören. Schließlich hatte Stefan schon bei »Schwein gehabt« passen müssen.
    Am nächsten Tag gingen Roger und Stefan auf Alisons Vorschlag mit dem Fußball in den Park. Roger war nicht ganz darauf gefasst gewesen, dass ihnen das kulturelle Austauschprogramm eine ständige Zweisamkeit aufzwingen würde: Alles, was man tat, tat man gemeinsam. Er und Stefan lebten für die Dauer seines Aufenthalts in einer künstlichen Symbiose. Man schlief gemeinsam, spielte gemeinsam, aß, trank und kommunizierte. Es gab anscheinend kein Entrinnen. Immer wieder erkundigte sich Alison fröhlich: »Was habt ihr Jungs jetzt vor?«
    Sie fügten sich dem Unabänderlichen und spielten Fußball. Für Roger war das nicht weiter schlimm; Stefan war sichtlich weniger scharf darauf, aber er kickte den Ball tapfer etwa eine Stunde lang herum, etwas unbeholfen, was beiden peinlich war. Schließlich zogen sie in beiderseitigem Einvernehmen wieder nach Hause ab. Vor ihnen gähnte der Tag.
    Wäre Roger sich selbst überlassen gewesen, hätte er in der Langeweile der Ferien nur so geschwelgt; er hätte faul und träge herumgelungert und viele Stunden mit kreativem Nichtstun verbracht. Aber das kam nun nicht in Frage: Er musste erkennbar etwas tun, damit Stefan dabei mitmachen konnte. Monopoly, Federball im Garten, Patiencen, Wurfringe im Garten, Brettspiele, und warum holte er nicht die Tischtennisplatte heraus und stellte sie im Garten auf? Es war anstrengend.
    Stefan schien immer willig. Aber seine guten Manieren waren, wie Roger erkannte, so tief in ihm verwurzelt, dass sich ihm jeder Unwille von selbst verbot. »Ja«, sagte er stets. »Das würde ich gern machen. Du musst mir dieses Spiel beibringen – ich kenne es nicht.« Er spielte mit ehrfurchtgebietender Entschlossenheit, man hatte das Gefühl, er spiele zu Ehren seines Vaterlands. Abends war er vor Erschöpfung wie erschlagen.
    Einfühlsamkeit gehört nicht gerade zu den Stärken Dreizehnjähriger. Auch Roger war nicht sehr einfühlsam, aber in manchen hellsichtigen Momenten bemerkte er doch, dass Stefan heimliche Qualen litt. Er sah es, wenn Stefan darauf wartete, das Bad benutzen zu können, er sah es, wenn Stefan sich bei den Mahlzeiten so offenkundig wie vergeblich bemühte, dem Wortgefecht am Küchentisch zu folgen, er sah es, wenn Stefan einen Teller Corned Beef vorgesetzt bekam (»nein, so etwas gibt es bei uns zu Hause nicht«).
    Während einer dieser Mahlzeiten, bei denen mit verschlüsselten Satzbrocken schnell und scharf geschossen wurde, begann Alison, Stefan das Vergnügen zu erklären, das ihnen in Kürze bevorstand.
    »Es freut mich ja so, dass du das miterlebst, Stefan: eins unserer großen Familienereignisse. Ich habe nämlich Geburtstag , weißt du, und weil der so schön in die Schulferien fällt – sehr vernünftig von mir, im August auf die Welt zu kommen –, machen wir immer einen Picknickausflug. Das Geburtstagspicknick. Seid mal alle ruhig, bitte! Wir haben noch nicht beschlossen, wo es dieses Jahr hingehen soll, und weil es bis dahin nur noch zwei Tage sind, möchte ich von euch ein paar Vorschläge hören.«
    »In den Vergnügungspark von Alton Towers«, sagte Clare.
    »Oxford Street«, sagte Sandra. »Mit der Möglichkeit zum Shoppen für alle, die wollen.«
    »Zu dieser Grünfläche vor dem Parlamentsgebäude«, sagte Paul. »Mit Plakaten zum Lobpreis des

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