Familienalbum
beschäftige sich letzten Endes vor allem damit, wie sich die Leute gegenseitig umgebracht hatten. Charles dozierte vor Stefan über die römischen Invasionen.
Alison sprang auf. »Es ist schon zwölf vorbei. Zeit fürs Mittagessen! Alles auf zum Picknick!«
Sie kehrten in recht loser Formation zum Parkplatz zurück und stiegen in die Autos. »Und jetzt auf zur Erstürmung des Everest«, sagte Paul. Er schien munterer, warum auch immer. Charles dagegen war richtig missgelaunt. Er schnauzte Paul an, er solle Ausschau nach den Hinweisschildern halten.
»Nur kein Stress«, sagte Paul. »Man sieht das Ding doch von hier.«
Das stimmte. Ein großer Hügel mit grasbewachsenen Festungswällen und einem Pfad, der sich vom Parkplatz nach oben schlängelte. In Roger flackerte leises Interesse auf: Da konnte man sich runterrollen lassen.
Die Autos wurden geparkt, der Volvo entladen und sein Inhalt von Alison verteilt. »Du trägst das … Paul, nimm die Stühle … Vorsicht damit – da sind die Flaschen drin …« Die Gesellschaft stieg die Serpentinen hinauf, alle bepackt, als wären sie auf der Flucht vor einer Katastrophe oder eine mit Weihgaben beladene Pilgerschar. »Halt die Flaschen richtig rum«, rief Alison. »Hat jemand die große Decke?« Sie bog vom Weg ab und deutete nach vorn: »Da lang ist es am besten. Ich erinnere mich, wir sind vor Jahren schon mal hergekommen. Abseits der Massen, mit einer herrlichen Aussicht.«
Es stellte sich heraus, dass der auserwählte Platz oben auf einem Wall eine hervorragende Aussicht auf ein Pärchen bot, das in der Senke weiter unten Zärtlichkeiten austauschte; die beiden hielten inne und starrten empört hoch. Katie sagte: »Mum, ich glaube, wir sollten vielleicht ein Stückchen weitergehen.«
»Hier ist es aber ideal, Schatz. Schön flach und keine Disteln. Paul, stell die Stühle da drüben auf, und hier kommt die große Decke hin.«
Ein Lager wurde errichtet; überall standen geöffnete Körbe und Kisten herum, auf einem Klapptisch marschierte eine Phalanx von Flaschen auf (Wein für die Erwachsenen, Alkoholfreies für den Rest), ein Teil des Geländes wurde als Sitzplatz ausgewiesen. Das Liebespärchen stand auf und zog mit grollenden Blicken ab. »So kann man jemandem den Tag verderben …«, murmelte Katie.
Alison hatte sich selbst überboten. Es gab Quiches, Würstchenspieße, Salate, kaltes Brathähnchen, selbst gemachtes Erdbeereis, Himbeertörtchen. Das heiterte Roger noch weiter auf. Die Gruppe ließ sich nieder – einige verteilten sich auf den Decken, die drei Erwachsenen und Sandra, die sich nicht den Rock ruinieren wollte, setzten sich auf die Stühle. Alison gab das Essen aus: »Da drüben sind Papierservietten, dazu die Schälchen und Löffel für das Eis. Charles, würdest du bitte den Wein aufmachen?«
Charles schenkte Ingrid, Alison und sich selbst die Gläser voll. Er trank sofort ein paar Schlucke, was seine Laune zu verbessern schien. Dann erhob er das Glas: »Auf den Geburtstag!«
Becher mit Limonade und Cola und eine Bierdose wurden hochgereckt. »Zum Wohl, Mum«, sagte Sandra. »Ich wünsche Ihnen alles Gute zum Geburtstag«, sagte Stefan und versank danach in verlegenem Schweigen.
Ingrid sagte: »So viele Geburtstage. Vielleicht in Zukunft nicht mehr so viele.«
»Danke euch allen!« Alison war mit sich und der Welt zufrieden. »Was meinst du denn damit, Ingrid, um Himmels willen? Ach ja, die Kinder werden groß. Aber sie kommen doch alle wieder, nicht? Familientraditionen sind schließlich heilig …« – fröhliches Lachen – »… und außerdem ist es bis dahin noch ewig hin. Roger, reich mal die Würstchen und das Hähnchenfleisch herum – alles muss aufgegessen werden. Gibt es in deiner Familie auch Traditionen, Stefan? Das ist ja so wichtig. Ich meine, überall gibt es Weihnachten und Geburtstage, aber man muss etwas Besonderes daraus machen, nicht wahr?«
»Mit persönlichem Touch«, bemerkte Sandra.
»Wie meinst du, mein Schatz? Also, ich habe immer darauf geachtet, dass wir unsere kleinen Familienrituale hatten. Als alle noch kleiner waren, haben wir bei den Geburtstagspartys immer eine Schatzsuche veranstaltet, und ich habe immer etwas Besonderes gekocht, wenn jemand etwas zu feiern hatte. Es gab zum Beispiel viele Abschlussprüfungen – nach der Mittelstufe, nach der Oberstufe.«
»Oder wenige – in einem Fall«, bemerkte Charles.
Paul schleuderte vehement eine leere Bierdose den Wall hinunter.
»He, Paul, lass das«,
Weitere Kostenlose Bücher