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Familienalbum

Familienalbum

Titel: Familienalbum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Lively
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Paar. Ein Zuhause. Ein Ort zum Leben, ein Mensch zum Zusammenleben. Er sagt, sie sollten heiraten. Er will sie heiraten. Er sehnt sich nach nichts anderem.
    Und sie sagt: »Bist du verrückt?«
    Sie will ihn nicht heiraten. Hat nicht die leiseste Absicht. Die Sache ist ein Fiasko, hätte nicht passieren dürfen, heißt aber auf keinen Fall, dass sie zusammenbleiben werden. Das führt doch zu nichts, sieht er das nicht ein? Sie hatte ihm ohnehin sagen wollen, dass sie sich vielleicht nicht mehr sehen sollten.
    In seinem Magen ein Klumpen Eis. Von der Euphorie zum Gefrierpunkt. Er starrt sie an. Dann fleht er, beschwört sie, verspricht ihr, er wird sich eine richtige Arbeit suchen, sie werden eine Wohnung finden, ein Baby wird … (er sucht nach dem richtigen Wort, einem Wort, das sie anspricht) … ein Spaß sein.
    Mit ausdrucksloser Miene lässt sie ihn zu Ende reden. Dann sagt sie: »Keine Chance, Paul.«
    Sie ist unerbittlich. Kalt, distanziert. Sie hat sich in eine andere verwandelt, dieses herrliche Lachen ist verstummt. Sie hat sich eingekapselt, hat keinen Platz mehr für ihn. Er wird aufs Abstellgleis geschoben, ausrangiert. Er ist am Boden zerstört, fassungslos, hat das Gefühl, er hätte in dieser Sache doch mitzureden, hätte sogar gewisse Ansprüche, aber er ist nicht in der Lage, ihr das auseinanderzusetzen. Er spürt ein entsetzliches Verlustgefühl: Einen Augenblick lang war eine Zukunftsvision aufgeblitzt, dann wurde sie ihm entrissen.
    So verwirrt und bestürzt ist er, dass er nicht mehr klar denken kann und sagt, er würde gern das Baby sehen, wenn es da ist.
    Sie sieht ihn mit müder Verachtung an. »Es wird kein Baby geben«, sagt sie. »Dafür werde ich schon sorgen.«
    *
    Im Lauf der Jahre hat Paul gelegentlich an dieses ungeborene Kind gedacht, gelegentlich auch an das Mädchen. Das alles ist lange her, damals war er noch sehr jung. Er ist jetzt ein ganzes Stück älter, womöglich nicht viel klüger, aber doch zu einem klarsichtigen Rückblick fähig. Das meiste, was er sieht, gefällt ihm nicht, und das ist natürlich das Problem. Hätte er nur … Hätte er nur nicht … Und jener Sommer erscheint ihm als Punkt, an dem alles hätte umschwenken können, hätte das Mädchen nur …
    Aber sie hat nicht. Und jetzt ist sie in diesem Sumpf von Menschen versunken, die er einmal kannte und deren Stimmen immer noch gelegentlich zu ihm vordringen; meist würde er lieber nicht hören, was sie ihm zu sagen haben. Autoritäre Gestalten, die ihm Motivationsmangel vorwerfen; Arbeitgeber, die sich fragen, ob er wirklich das Zeug zu diesem Job hat; Mädchen, die einfach nicht das Gefühl haben, dass sie sich auf ihn verlassen können; Leute aus dem Rehazentrum, die immer wieder von Durchhaltevermögen und Engagement reden und ihn auffordern, er solle sich selbst eine Chance geben.
    Er hat ja auch schon seit Jahren keine Drogen mehr genommen. Nur hin und wieder. Und Alkohol – nun ja, er trinkt ziemlich regelmäßig, aber nicht exzessiv, nicht im Vergleich zu anderen, um Himmels willen.
    Jedes Mal, wenn er wieder – ob für Tage, Wochen oder Monate – in Allersmead landet, in seinem alten Zimmer, seinem alten Bett, beschleicht ihn das unheimliche Gefühl, er sei in Wirklichkeit nie von hier fortgegangen. Ihm ist, als bestünde sein Leben außerhalb von Allersmead aus Ausflügen, die er nur in seiner Fantasie unternommen hat, während er in Wirklichkeit immer hiergeblieben ist. Seine jetzige Erscheinungsform, dieser stämmige Mann, kommt ihm wie ein Anachronismus vor; überall lauert ein Alter Ego , das Kind, der Junge.
    »Betrachte Allersmead als dein Sicherheitsnetz«, hat sie gesagt. Einmal. Vor Jahren. »Es ist immer für dich da. Wir auch.«
    Dad hat das nicht gesagt, auch nichts entfernt Ähnliches. Von Zeit zu Zeit hat er andere Dinge gesagt.
    Bestandsaufnahme. Übung in Datenerhebung. Hochtrabende Begriffe für diesen unwillkürlichen Prozess, der jedes Mal in Gang kommt, wenn Paul nach Allersmead zurückkehrt, diese Gestalten, die sich an sein Bett drängen und von ihm fordern, dass er sich an sie erinnert, dass er noch einmal darüber nachdenkt, was geschehen ist.
    Heute Abend ist der Typ an der Reihe, der diesen Fahrradkurierdienst aufgezogen hat, Speedbikes. Er sitzt an dem chaotischen Schreibtisch in seinem Büro, einem schmuddeligen Hinterhofkabuff, von dem aus er alles organisiert, und teilt Paul mit, dass er gehen kann. Dass seine Dienste nicht länger gebraucht werden. Kurz, er ist

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