Familienalbum
als Barkeeper jobbt. Lacht nicht verächtlich, sondern amüsiert. Wie witzig , so was. Sie ist jünger als er und arbeitet in einem Blumenladen weiter unten an der Straße, wo auch das Hotel liegt; sie findet das nicht besonders witzig, sagt sie, eine Sackgasse, sie trete dort nur auf der Stelle, solange sie sich umsieht. Vielleicht geht sie nach Amerika, sie hat ein paar Cousinen dort. Sie wohnt bei ihren Eltern in einem der großen Häuser am Stadtrand, kann es aber kaum erwarten wegzukommen, und bis dahin hat sie durchaus nichts dagegen, sich mit Paul zu treffen, wenn sie beide freihaben. Sie haben sich am Strand geküsst und hinter der Hecke vor dem Haus ihrer Eltern, und hier an der Uferpromenade halten sie Händchen, und Paul ist einfach nur glücklich. Er hatte schon andere Mädchen gehabt – natürlich –, aber sie ist eine andere Liga. Braun gebrannt, dunkle Augen und ein tönendes Lachen, bei dem Paul jedes Mal, wenn er es hört, ein Schauer überläuft.
In der engen Dachkammer in Pauls Hotel schlafen sie miteinander, nachdem Paul seinen Zimmergenossen, den zweiten Barkeeper – einen Studenten, der hier in den Ferien jobbt –, bequatschen konnte, sich zu verdrücken. Der leicht unangenehme Geruch in der Kammer (muffige Leintücher, herumliegende Kleidungsstücke) amüsiert sie weniger, schließlich ist sie die Hygiene eines regelmäßig durchgeputzten Vororthaushalts gewöhnt, aber sie zeigt sich zugänglich, sogar fantasievoll, und danach essen sie in dem türkischen Restaurant, wobei der größte Teil von Pauls Wochenlohn draufgeht. Sie fragt Paul nach seinen Plänen, welcher richtige Job ihm letztlich vorschwebe, und Paul dreht und windet sich; er erwähnt weder die große Anzahl seiner anderen Gelegenheitsjobs noch die Zeit im Rehazentrum. Überhaupt erwähnt er möglichst wenig und bemüht sich, beneidenswert frei und ungebunden zu erscheinen, wenigstens solange er eine solche Existenz wünscht.
Sie lädt ihn nicht zu sich ein, in das Haus, das an Allersmead erinnert – die gleiche Weitläufigkeit, Nachbarn, die genauso große Bäume, Grasflächen und gekieste Auffahrten vorzuweisen haben. Er weiß, woher sie kommt, weil er selbst von dort kommt, was sie vermutlich spürt und deshalb seine Maskerade als Barkeeper amüsant findet. In Wirklichkeit ist er ein solider Mensch, auch wenn er sich mit dem Solidewerden etwas Zeit lässt.
Warum bittet sie ihn nicht herein und stellt ihn ihren Eltern vor? Vielleicht weil ihre Eltern es nicht so spaßig fänden, dass ihre Tochter einen Barkeeper zum Freund hat, auch wenn er nur ein Amateur-Barkeeper ist, auch wenn sie ihn nie offiziell zu ihrem Freund erklärt hat. Für sie ist das Ganze eine Sommerromanze, ein Spiel am Strand, auf den Klippen hinter der Stadt, in Cafés und Pubs – und, wenn Paul sie dazu überreden kann, in der Dachkammer seines Hotels.
Das ist ihre Sicht der Dinge. Leider vergaloppiert sich Paul in eine ganz andere Richtung. Früher ließ er die Mädchen ohne Bedauern kommen und gehen, aber diesmal kann er den Gedanken, sie loszulassen, nicht ertragen. Sie ist ihm wichtig. Er ist verknallt. Na schön, er liebt sie, hat endlich den Anschluss an die Menschheit gefunden. Er hat ihr von seinem Gemütszustand nichts verraten, weil er ahnt, dass sie dann womöglich Hals über Kopf davonrennen würde. Er versucht, den Schein einer lockeren Liebelei, eines Sommerflirts, einer beiläufigen Begegnung zu wahren.
Und dann ist sie eines Tages zerstreut, gereizt und erscheint am nächsten Tag nicht zur Verabredung. Er ruft x-mal an, sie ruft nicht zurück. Ihre Mutter geht ans Telefon und sagt, sie werde ihr seine Nachricht ausrichten; ihr Ton ist kühl.
Eine Woche vergeht, ohne dass sie sich treffen. Zehn Tage. Zwei Wochen. Er ist Dutzende Male am Blumenladen vorbeigelaufen, hat sie drinnen gesehen; zweimal hat er seinen ganzen Mut zusammengenommen und ist hineingegangen, da hat sie stirnrunzelnd gesagt, sie könne jetzt nicht mit ihm reden, sie werde sich melden.
*
Und jetzt, so viele Jahre später, als Paul wieder einmal in Allersmead ist, wirbelt mit vielem, vielem anderem das Mädchen wieder durch sein Bewusstsein. Zum größten Teil sind es nur Schatten, der Schatten ihrer Gestalt, vor allem aber die Schatten von Gefühlen, die er empfand, als sie …
*
Als sie ihm eröffnete, sie sei schwanger. Einen Augenblick lang stand er unter Schock, dann schäumte Euphorie in ihm hoch. Schwanger. Schwanger bedeutet ein Baby. Ein Baby bedeutet ein
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