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Familienalbum

Familienalbum

Titel: Familienalbum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Lively
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gefeuert. Und Paul, der darauf gefasst war, blickt in das rote, ewig unrasierte Gesicht des Mannes, das sich in seinem Kopf festgefressen hat, auch wenn sein Name längst vergessen ist. Paul sieht dieses so vertraut gewordene Gesicht, die sandfarbenen Augenbrauen, die geröteten, geplatzten Äderchen, den feisten, wulstigen Nacken, und ist froh, dass er es nie mehr sehen wird (leider, leider wird es ihn noch oft verfolgen); der Job ist ihm egal, er wird sich was anderes suchen und hatte sowieso die Schnauze voll. Der Mann streckt die Hand nach den Fahrradschlüsseln aus und sagt noch etwas, offenbar bekommt Paul wegen der Entschädigung, die die Konditorei verlangt, diese Woche keinen Lohn mehr. Das allerdings kompliziert die Lage ein wenig – Paul wird jemanden anschnorren oder auf das Entgegenkommen der Bank hoffen müssen; mit dem Typen herumzustreiten bringt jedenfalls nichts, so viel ist klar, und er will nur noch raus hier. Er hat genug von dem Kerl, genug davon, durch den Verkehr zu rasen, im Stau zu stecken und sich mit Abgasen vollzupumpen.
    Nächstes Mal was Schniekes, innerhalb eines Gebäudes. Zeitungsredakteur, Hirnchirurg, Abgeordneter.
    Erst war es gut gewesen, das Leben als Fahrradkurier. Von Kopf bis Fuß in schwarzes Leder gekleidet, wie eine Robbe zwischen Bus und Laster durchzugleiten, bei der Ampel loszusprinten, sich auf Seitengassen und Schleichwegen durch die City zu schlängeln. Aufregend – ja, das war sein Ding. Die Sendung mit einem Lächeln an die hübschen Mädels an der Rezeption auszuhändigen, die in marmornen Eingangshallen inmitten eines grünen Dschungels an Glasschreibtischen sitzen; auf eine Sendung zu warten, manchmal bei einem Kaffee und einem Schwatz. Meistens transportiert er Papiere – große Umschläge, kleine Umschläge, wattierte Umschläge, Pakete. Er ist der Blitzverteiler einer Riesenladung Papier, weiß der Himmel, wozu das alles – das geht ihn nichts an, er ist nur die Rohrpostleitung für den Papierwust, der Mittelsmann, der ihn rasend schnell von einer Adresse zur anderen befördert. Gelegentlich hat er auch anderes Frachtgut: Filmrollen, geheimnisvolle Päckchen. Für Paul ein und dasselbe; er bringt das Zeug von A nach B und wartet auf die nächsten knisternden Anweisungen von diesem Typ im Büro. Meist geht alles glatt, nur gelegentlich gibt es Schwierigkeiten, wenn er die gesuchte Adresse nicht finden kann oder wenn er im Verkehr aufgehalten wird und was zu hören kriegt, weil er die Sendung nicht rechtzeitig abgeliefert hat.
    Ab und zu kommt es noch schlimmer. Als er zum ersten Mal aus dem Sattel flog – er hatte eine Kurve zu schnell genommen –, hielt ein Taxifahrer, um ihm aufzuhelfen, und sagte: »Lieber kurz gelebt und dafür lustig, was?« Als er sich vergewissert hatte, dass Paul unverletzt war, fügte er hinzu: »Ich hab noch keinen von euch gesehen, der über fünfundzwanzig war.« Paul grinste.
    Es folgten weitere Stürze. Die Lederkluft schützt vor Schürfwunden, wenn man über den Asphalt schleift – ihr Sinn und Zweck; und man lernt, sich vom Fahrrad wegzurollen und zu hoffen, dass kein Auto hinter einem daherkommt. Das Wichtigste: Hat man die Sendung noch? Paul hatte sie immer noch, ausgenommen an jenem letzten Tag.
    Nun ja, wenn man’s ganz genau nimmt, hatte er sie nicht immer. Einmal hat er beinahe eine große, flache Mappe verloren – Bauzeichnungen, wie sich herausstellte. Die Mappe war hinten festgeschnallt, aber beim Sturz – diesmal war Paul gegen den Bordstein geknallt – riss der Riemen, die Mappe platzte auf, die Pläne flatterten über die ganze Fahrbahn und wurden zum Teil beschädigt. Es gab einen Riesenkrach deswegen. Mopsgesicht hat in seinem Büro einen richtigen Anfall gekriegt.
    Mopsgesicht schielte mit einem Auge immer auf die Uhr. Er wusste, wie lange die Fahrt zwischen zwei beliebigen Punkten, von A nach Z, dauern sollte; wenn man viel länger brauchte, musste man gute Gründe anführen. Und eins brachte Mopsgesicht wirklich in Rage: der Verdacht, dass man einen Zwischenstopp im Pub einlegte. Paul hatte das GPS -Peilgerät immer in der Jackentasche.
    An jenem Tag, jenem letzten Tag, hatte er sich zweimal ein Bier genehmigt. Es war heiß und der Verkehr die Hölle; zweimal führte die beste Route für einen Auftrag an einem seiner Lieblingspubs vorbei – na, so eine Überraschung! Er hatte im Pub nie getrödelt, war nur lange genug geblieben, um ein Bier zu kippen; danach fühlte er sich wieder viel fitter. Nach

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