Familienaufstellungen
oder gegen den anderen stehen oft wie Gespenster im Raum. Die Beziehung zu den lebenden Kindern ist mit Angst belastet. Die Kinder, deren Schwester oder Bruder gestorben ist, sind zutiefst verunsichert. Sie verlieren nicht nur ihr Geschwister, sondern auch für lange Zeit ihre Eltern. Ganz besonders, wenn das Geschwisterkind schwer und lange krank war, bevor es gestorben ist. Sie erleben ihre Eltern wie durch einen Schleier, unendlich weit entfernt. Sie wollen helfen, den Eltern beistehen und verzichten auf eine altersgemäße Ablösung. Nur noch vergessen zu wollen, das ist für alle ein absolut natürlicher Impuls. Die Sonne soll wieder scheinen. Das Leben liegt in der Zukunft!
Dass dies nicht möglich ist, wird in Familienaufstellungen sichtbar. Die nicht geweinten Tränen der Eltern und Geschwister verschwinden nicht einfach. Sie lagern sich verborgen ein und werden jedes Mal wieder belebt, wenn existenzielle Ereignisse in der Familiegeschehen, sei es, dass jemand geboren wird oder dass jemand stirbt.
Mittlerweile gibt es zum Glück Selbsthilfegruppen wie »Verwaiste Eltern e. V.«, die Eltern und Geschwister in dieser schlimmen Situation unterstützen. In unserer immer noch trauerfeindlichen Gesellschaft helfen sich hier Familien gegenseitig, den Verlust zu bewältigen. Dazu gehört, dass über die unterschiedlichsten Gefühle, und zwar nicht nur über Trauer, sondern auch über Wut, Angst und Liebe gesprochen werden kann. Und dass die Lebenden ihre Gefühle füreinander wieder entdecken, die anfänglich fast vollständig auf das verstorbene Kind gerichtet sind. Offene Gespräche helfen den Partnern und Kindern dabei, einen Weg zu finden, wie das gemeinsame Leben weitergehen kann – mit dem Andenken an das gestorbene Kind.
Aus der Sicht der Menschen, die die Weltkriege erlebt haben, erscheint diese »moderne Hilfe« wie ein Luxus. Wo Millionen Menschen früh starben, Ideologie vielfach den Aufschrei gegen das Leid unterdrückte, nackte Existenzsicherung den Alltag füllte, blieb kaum Raum für eine gemeinsame Trauerbewältigung. Wenn dies direkt oder indirekt die folgenden Generationen belastet, bieten Familienaufstellungen einen Weg der Versöhnung an.
Sie ermöglichen es diesen Menschen, sich Rückblenden aus dem Film des Lebens anzuschauen. Schmerz und Trauer werden nochmals erlebbar, und die Liebe zu dem zu früh Verstorbenen erhält wieder einen Bezugspunkt, wenn dieser in die Runde der Familie aufgenommen wird. Gleichzeitig schauen sie in die Zukunft. Sie erfahren, welche Schritte sie in der kommenden Zeit tun können, um mit den Lebenden und den Toten Frieden zu schließen. Wenn die Toten einen Platz in unserem Herzen haben dürfen und mit Liebe beachtet werden, schenken sie uns Kraft für unser Leben.
Abgrenzung und Neubeginn – der Abschied von den Schuldigen
Der Umgang mit Schuld war und ist für viele Menschen in Deutschland vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg sehr schwierig. Bisheute lassen sich unterschiedliche Lösungsversuche in unserer Gesellschaft beobachten: Die einen versuchen, das Unrecht möglichst totzuschweigen, andere entschuldigen die mörderischen Verbrechen mit den damaligen gesellschaftlichen Umständen, wieder andere klagen die Schuldigen mehr oder weniger aggressiv an. Selbst viele Jahrzehnte nach dem Ende des Dritten Reichs lastet der millionenfache Mord schwer auf den Menschen in diesem Land; dies zeigten beispielsweise die Reaktionen auf die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung.
Leugnung, Verdrängung, Anklage oder auch distanzierte Analyse – all dies hilft den Kindern und Kindeskindern von Tätern nicht, mit der Schuld zurechtzukommen, die auf einer Familie lastet. Bert Hellinger, der viele Jahre Priester war, setzte sich intensiv mit dem Thema Schuld und Sühne auseinander. Als Therapeut erlebte er wiederholt, wie Kinder und Enkel schuldig gewordener Väter und Großväter, Mütter und Großmütter unter massiven Ängsten, Gewalt- und Mordfantasien oder psychischen Verwirrungen litten. Er erklärt dies so: Die Nachkommen versuchen unbewusst, die Schuld zu sühnen, indem sie selbst leiden. Sie nehmen einem Täter damit die Verantwortung für sein Verbrechen ab. Dieser »schlimme Ausgleich«, wie er es nennt, bindet die Nachfahren an das Schicksal eines Vorfahren.
Eindrucksvoll wird in Aufstellungen sichtbar, dass durch die Schicksalsübernahme die Schuld des Täters nicht kleiner wird, sondern sowohl dem Schuldigen wie auch dem
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