Familienbande
während Alain breitere Schultern und ein schmaleres Becken hatte.
„Wir sind fertig, Darrek“, sagte Annick und hielt wie zum Beweis zwei Reisetaschen hoch. „Wir haben alles mitgenommen, was wir finden konnten.“
Darrek nickte und gab den beiden ein Zeichen näher zu kommen. Die fremden Vampire teilten die Taschen mit den Blutkonserven unter sich auf und William zog Laney auf die Beine.
„Keine Angst“, raunte er ihr zu. „Dir wird nichts geschehen.“
Laney nickte leicht, wusste jedoch nicht, ob sie ihm glauben konnte. Sie kannte William nicht und hatte daher keinerlei Veranlassung, ihm zu vertrauen. Es sah jedoch nicht so aus, als würde man ihr die Wahl lassen.
Die Gruppe setzte sich lautlos in Bewegung, während um sie herum immer mehr Patienten gegen ihre Türen klopften. Laney hatte das miese Gefühl, sie alle im Stich zu lassen, wusste aber, dass sie ihnen wahrscheinlich am meisten half, indem sie keine Probleme bereitete.
Sie wollten gerade das Gebäude verlassen, als hinter ihnen plötzlich ein Schrei erklang, der nicht aus einem der abgeschlossenen Zimmer kam.
„Doktor Sam! Lass mich nicht allein!“, rief Juan in die Dunkelheit hinein und Laney lief es eiskalt den Rücken hinunter. Der Junge war ihnen gefolgt.
Dann ging alles ganz schnell. Die Vampire ließen ihre Taschen fallen und gingen alle gleichzeitig in Angriffsstellung. Ihre Körper reagierten ganz automatisch, was von jahrelanger Übung zeugte. Sie dachten nicht darüber nach, dass sie ein Kind vor sich hatten, sondern sahen nur die Gefahr der Entdeckung, die von diesem Menschen ausging. Liliana stürmte als erste los.
„ Nein! “, rief Laney, als sie sah, wie die Warmblüterin auf den kleinen Jungen zusprang.
Und Laney schrie.
In ihrem bisherigen Leben hatte Laney ihre Gabe erst ein einziges Mal als Waffe eingesetzt, um jemanden damit zu verletzen. Meistens benutzte sie sie nur als praktische Alternative zur verbalen Verständigung oder um jemanden zu ärgern. Nur einmal, als die Angst um ihre Familie sie in Panik versetzt hatte, war es ihr gelungen einen Schrei in den Gedanken von allen zu pflanzen. Sie hatte es später mehrmals wieder versucht, doch es war ihr nicht mehr gelungen.
Doch in diesem Moment, als die Angst um den kleinen Jungen ihr Herz fast erstarren ließ, schaffte sie es abermals jemanden durch ihre Gabe zu stoppen.
Sie schrie. Ihre Stimme wurde zu einem Echo in den Köpfen aller und überdröhnte jedes andere Geräusch. Einer nach dem anderen gingen die fremden Vampire zu Boden und hielten sich mit den Händen die Ohren zu. Das nützte jedoch nichts, da der Schrei nicht von außen an ihr Gehör kam, sondern von innen. Laney verlor keine Zeit.
„Lauf, Juan!“, rief sie dem Jungen zu. „Mach, dass du weg kommst! Ich kann mich nicht um dich kümmern. Es tut mir leid.“
Juan war im ersten Moment wie erstarrt und blickte zwischen den eigenartigen Gestalten, die sich am Boden krümmten, und Laney hin und her. Er war vollkommen durcheinander und schien sich nicht von der Stelle bewegen zu können.
„Juan!“, rief plötzlich die Stimme der Señora von der anderen Seite des Korridors aus.
Die Señora stand am Ende des Ganges und winkte dem Jungen zu.
„Geh, Juan“, rief Laney erneut. „Geh.“
Der Junge zögerte noch einen Moment, aber rannte dann zu der alten Dame und ließ sich von ihr fortführen. Laney hatte keine Ahnung, wo die beiden hingingen, hoffte aber, dass sie sich gut verstecken würden.
Laney überlegte einen Moment, ob sie vielleicht auch versuchen sollte zu fliehen, aber sie konnte spüren, wie ihr Schrei in den Köpfen der Vampire langsam an Intensität verlor. Sie versuchte ihn länger andauern zu lassen, aber sie hatte das Gefühl, als würde jemand versuchen die Lautstärke herunterzudrehen.
Verzweifelt hoffte Laney, dass Juan und die Señora schon weit genug weg waren und sich inzwischen in Sicherheit gebracht hatten. Laney hingegen musste auf jeden Fall bleiben.
Abschätzend sah sie die fünf Fremden an. Annick und Liliana schrien immer noch vor Schmerzen und William stöhnte. Alain hatte zwar die Hände über den Ohren, aber seine Lippen waren fest zusammen gepresst und er gab keinen Laut von sich. Darrek hingegen hatte die Hände nicht an den Ohren. Er war zwar auch vor Schmerz in die Knie gegangen, schien sich aber hochgradig zu konzentrieren. Er starrte Laney wütend an.
Er kämpfte gegen den Schrei an. So etwas hatte Laney noch nie gesehen. Durch schiere Willenskraft
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